Zeichnungen der Künstlerin Gabriella Rosenthal

Von Katrin Diehl

Das ist ein Bild: Im Innern des Stadtpalais, Brienner Straße 47, sitzt im ehrwürdigen „Rosenthal-Antiquariat“ zwischen hohen, dunklen Regalen ein junges Mädchen. Es ist vertieft, blättert in den alten Büchern, liest, sieht sich Abbildungen an. Sein Name ist Gabriella. Gabriella Rosenthal, Enkelin des Antiquariats-Besitzers Jacques Rosenthal, dessen Namen während der Weimarer Zeit für den Münchner Antiquariatshandel steht.

Manchmal hilft Gabriella dem Großvater bei dessen Arbeit, liest sich durch Literaturwelten, lernt über die Bücher Sprachen und Illustrationen kennen. Auch ihr Vater, Erwin, machte auf Antiquariate, eröffnet eine Filiale in Berlin, eine in Lugano … Gabriellas Mutter Margherita ist die Tochter des Florentiner Antiquars Leo Olschki …

Später wird Gabriella, 1913 in München geboren, ihren eigenen Weg gehen. Sie wird ihre Stadt, wird  Deutschland „rechtzeitig“ verlassen, an ihrer Seite der Münchner Schreiber und Religionsgelehrte Fritz Rosenthal, der sich später  Schalom Ben-Chorin nennen wird. 1935 hatten die beiden geheiratet, sind noch im selben Jahr und nach einem kleinen „Umweg“ über Luzern – dort fand der 19. Zionistenkongress statt – in Jerusalem angekommen. Söhnchen Tovia wird geboren. 1943 dann die Scheidung. Und Gabriella zeichnet und zeichnet. Sie hat diesen hingeworfenen Stil der Zeit wie wir ihn von Walter Trier oder Carl Ernst Fischer kennen,  schleudert Skizzen aufs Papier, die vom Skizzendasein leben, die witzig überspitzt Alltag widerspiegeln.  Das Straßengewirr Jerusalems mit Menschen verschiedener Religionen, Ethnien, reiche, arme, dicke, dünne, alte, junge… liefert dafür die beste Vorlage. Die aufregende,  aufgeladene Zeit vor der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 begleitet Gabriella Rosenthal als „Bildjournalistin“. Für die „Palestine Post“, englischsprachig, zionistisch und Vorläufer der „Jerusalem Post“, liefert sie wöchentlich immer zu Schabbat unter dem Titel „Palestine People“ Bilderfolgen voller Situationskomik ab, die das quirlige Leben auf engstem Raum karikieren wie feiern.

Aber Gabriella Rosenthal schreibt auch. Ihre unter-haltsamen Artikel, hier und da unterbrochen von eigenen Zeichnungen, fanden über die deutsch-jüdische Presse, die absurder Weise zwischen den Jahren 1933 und 1938 in Deutschland so etwas wie eine Blüte erlebte, sicher auch ihren Weg nach München. Egal welcher Tendenz diese Blätter ehemals angehört haben mögen – von deutschnational bis zionistisch –, irgendwann bereiteten sie alle mit Bild und Text auf die mehr als angeratene  „Ausreise nach Palästina“ vor, versuchten irgendwie Mut zu machen auf das „orientalische“, vielen unbekannte Land. Rosenthal berichtete da z. B. auf einer „Frauenseite“ über die reichhaltige Restaurantkultur Jerusalems.

Jerusalem. Das war jetzt ihre Stadt, Israel ihr Land. Und trotzdem. Auf einigen wenigen ihrer Zeichnungen lassen sich bayerische Spuren  finden. Angelehnt an die Schönheitsgalerie König Ludwigs I. taucht in ihrem „Kleinen Jerusalemer Kaleidoskop“ von 1939, gezeichnet zum 50. Geburtstag des Vaters, eine zweiseitige – getrennt nach Männern und Frauen – „Jerusalemer Schönheitsgalerie“ auf. Und ab und zu gibt es da auch einen bayerischen Dackel, der über ihre Jerusalemer Bilder huscht.

Irgendwann hörte Gabriella Rosenthal auf, die Tagespresse mit ihren Zeichnungen zu beliefern. Sie beginnt ein Kochbuch,  gibt Kindern aus arabischen Dörfern Malunterricht und arbeitet als Reiseführerin. 1975 stirbt sie. Ihr Grab befindet sich in Jerusalem.

Die Ausstellung „Von der Isar nach Jerusalem, Gabriella Rosenthal, Zeichnungen“ im Jüdischen Museum zeigt an die 70 Originale der Künstlerin, meist kolorierte Federzeichnungen. Rosenthals Sohn Tovia Ben-Chorin, früherer Berliner Gemeinderabbiner, hatte sie 2018 der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum zum 70. Geburtstag Israels für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt. Dass sie jetzt auch in München, wo noch immer die Isar fließt, zu sehen sind, ist nur naheliegend.

„Von der Isar nach Jerusalem,
Gabriella Rosenthal – Zeichnungen“;
Jüdisches Museum, 18. März – 2. August 2020