Michael Ott ist Teamleiter der Abteilung 1 – Darstellende Kunst, Literatur, Film, Wissenschaft und Preise im Kulturreferat der Landeshauptstadt München.

LiteraturSeiten München (LSM): Sie sind im Kulturreferat der Stadt München u. a. für die Literaturförderung zuständig, welche Bereiche genau umfasst diese Förderung?

Michael Ott: Wir unterstützen zum einen Institutionen wie das Literaturhaus, die Internationale Jugendbibliothek oder das Lyrik Kabinett mit Zuschüssen; auch das Münchner Literaturfest gehört hierzu. Zum zweiten gibt es viele einzelne Veranstaltungen, Reihen, poetry slams oder kleinere Festivals, die wir durch Kooperationsbeiträge fördern und oft erst ermöglichen. Und schließlich unterstützen wir Autor*innen mit Preisen und Stipendien – vom Münchner Literaturpreis über die Arbeitsstipendien bis zum Hoferichter- oder Tukanpreis; hier organisieren wir Jurys und Preisverleihungen. In engem Austausch sind wir auch mit der Stadtbibliothek und der Münchner Volkshochschule, die aber eigenständige Institutionen mit eigenem Veranstaltungsprogramm sind.

LSM: Allgemein wird beklagt, dass die Jugend nicht mehr liest, das Lesepublikum also immer älter wird. Welche Maßnahmen der Leseförderung halten Sie für sinnvoll?

Ott: Ich weiß nicht recht, ob diese Klage stimmt, und, wenn sie stimmt, ob pä-dagogische „Maßnahmen“ hier helfen. Ich glaube allerdings, dass das Lesen selbst – sei’s von Büchern oder eben in digitaler Form – etwas mit der „Lust am Text“ zu tun hat, von der Roland Barthes einmal sprach. Das meint nicht einfach Spaß, sondern die Erfahrung und Energie, die man beim Lesen erlebt – und das am besten, wenn man sich darüber auch austauscht, gegenseitig ansteckt, vorliest, dann wieder mit einem Buch zurückzieht. Das kann man schon als Kind entdecken – das sieht man zum Beispiel bei der Bücherschau Junior ganz wunderbar – , aber auch später im Leben. Deswegen finde ich alles gut, was diese Lust am Text weckt oder wiedererweckt.

LSM: Buchhandlungen spielen eine wichtige Rolle bei der Literaturvermittlung, gleichzeitig geht ihre Zahl stetig zurück, viele Buchhändler*innen kämpfen um ihre Existenz. Was halten Sie von Förderinstrumenten für den Buchhandel und welche Akteure sehen Sie da am Zug?

Ott: Leider mussten schon mehrfach Lieblingsbuchhandlungen von mir aufgeben – wegen gestiegener Mieten oder Umsatzeinbußen, sei es durch online-Handel oder geändertes Leseverhalten. Doch das ist durch kulturpolitische Förderung der Stadt leider nur sehr schwer auszugleichen, da bräuchte man eher eine spezielle Wirtschaftsförderung – ähnlich übrigens für Kinos. Eine wichtige Fördermöglichkeit sehe ich aber in den Veranstaltungen in Buchhandlungen; denn das fördert gleich mehrfach – durch Honorare für die Autor*innen, als Werbung für die Verlage und als Marketing für die Buchhandlungen, die sich als Kultur- und Diskursorte profilieren können. Auch den vom Bund verliehenen Buchhandelspreis finde ich gut, wenngleich davon immer nur wenige der über 6.000 Buchhandlungen in Deutschland profitieren. Hier würde ich mir vom Freistaat mit seinem analogen Preis auf Landesebene übrigens mehr Förderung wünschen.

LSM: München ist eine Verlagsstadt. In der Landeshauptstadt, aber auch in vielen Regionen Bayerns gibt es kleine, unabhängige Verlage, die oft eine wichtige Funktion erfüllen, wenn es um Neuerscheinungen geht. In unserem Nachbarland Österreich gibt es eine staatliche Förderung, die unabhängigen Verlagen das Überleben sichert, wäre das ein Modell auch für Deutschland, für München?

Ott: Gerade wegen Dominanz weniger Großer sind für Vielfalt und Qualität des Verlagswesens die kleinen und unabhängigen Verlage sehr wichtig. Deren Förderung in Österreich klingt erst einmal toll, sie ist aber im Detail nicht einfach: Die Verlage müssen auch österreichische Autor*innen verlegen, und ob man da immer die findet, die man will, und ob diese sich in einem österreichischen Verlag so wohlfühlen, ist eine andere Frage. Grundsätzlich sehe ich auch zur Verlagsförderung Preise und Auszeichnungen als einen guten Weg an – z.B. auch hier den vor zwei Jahren neu eingeführten deutschen Verlagspreis, der ja jeweils über 60 Verlage fördert. Auch hier könnte übrigens der Freistaat meiner Ansicht nach deutlich nachlegen. Für die Kommunen, also auch die Stadt München, ist es dagegen extrem schwer, hier zu fördern, da Verlage ja ihrer Idee nach nur selten ein lokales Wirkungsfeld haben, und unsere Aufgabe ist eben die Förderung der Kultur in der Stadt.

LSM: Literaturvermittlung, speziell die Wasserglas-Lesung, hat ein angestaubtes Image. Neue Formen der Vermittlung sind nötig, um auch ein junges Publikum anzusprechen. Welche Formen halten Sie am besten für Erfolg versprechend?

Ott: Gegen das Lesen an sich oder Wassergläser als solche spricht ja eigentlich nichts. Und ich denke, dass bereits vieles entstaubt worden ist, zum Beispiel durch besondere Orte und die Verbindung mit anderen Künsten wie Musik oder Bildender Kunst, wie es ja schon einige Lesungsreihen in München mit großem Erfolg auch bei jungem Publikum praktizieren. Wichtig scheinen mir vor allem die kontinuierliche Präsenz und Möglichkeiten von direkter Interaktion und persönlichem Austausch.

LSM: Wenn wir über Literatur sprechen, geht es nicht nur um Rezeption, sondern auch um das aktive Schreiben. Immer mehr Schreibseminare werden angeboten. Unterstützen Sie diese Entwicklung?

Ott: Es wäre wohl falsch, wenn man sich von solchen Kursen eine Art Berufsfortbildung zu Profiautor*innen versprechen würde. Es wäre aber ebenso falsch, in der Tradition des deutschen Genie-Diskurses die Reflexion der ‚handwerklichen‘ Seite von Literatur überhaupt abzulehnen. Es geht für mich in solchen Kursen idealerweise um das Erproben und Überprüfen von Sprache, die Erfahrung eines produktiven Austauschs und damit einen (selbst)kritischen, aber konstruktiven Diskurs. In der Akademie des Schreibens oder den Schreibwerkstätten des Literaturhauses finden ja auch genau solche Schreibseminare statt.

LSM: Die Medien, vor allem die Fernsehsender und die gedruckte Presse, haben ihre Literaturbeiträge mit den Jahren immer weiter zurückgefahren. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den LiteraturSeiten München zu und worauf sollten sich die LiteraturSeiten nach Ihrer Meinung besonders fokussieren?

Ott: Ich finde die Mischung aus Information und redaktionellen Beiträgen in den LiteraturSeiten gerade richtig. Vielleicht auch wegen des Bedeutungsverlusts der Feuilletons scheinen mir die Kategorien des Sprechens und Urteilens über Literatur derzeit in einer Krise zu sein, ebenso wie übrigens die der Literaturwissenschaft. Etwas kulturpessimistisch zugespitzt: Reden über Literatur scheint sich zunehmend nur noch in Marketing oder Polemiken zu erschöpfen. Darum ist ein Medium wie dieses, das sich den Imperativen der Umsatzsteigerung oder Skandalisierung erst einmal entzieht, ein echter Freiraum für einen im guten Sinn engagierten und informativen Diskurs.

Die Fragen stellte Bernd Zabel