Von Stephan Priddy

In der Abenddämmerung saß ein junger Mann auf einer Mauer und schaute auf das von ihr umschlossene Privatgrundstück.

„Biste sicher, dass da keine Hunde sind?“

„Ja doch. Bin schon mal da gewesen“, rief sein gleichaltriger Freund Volker hoch. „Nun komm runter, Benny, bevor dich irgendwer sieht.“

Seufzend rutschte Benjamin vom Mauerrand herunter. Aufgrund der Höhe fuhr der Aufprall schmerzhaft in die Beine. Ohne Volkers Hilfe, der sie beide auch hergefahren hatte, wäre Benjamin nicht einmal über die Mauer gekommen. Sein Freund schüttelte den Kopf.

„Komm, du Gipfelstürmer.“

Die Sommernacht war angenehm warm. Über den Rasen liefen die zwei Männer vorsichtig auf eine Villa zu, deren Fenster alle dunkel waren.

Volker zeigte plötzlich nach vorn.

„Na? Habe ich zuviel versprochen?“

Vor ihnen lag ein großes Schwimmbecken, geformt wie eine krumme Acht. Unter dem Beckenrand befanden sich vereinzelt Neonlampen, deren Licht die mattblauen Innenwände erhellte.

Benny spähte zum Haus.

„Niemand daheim, sagst du, aber Licht im Wasser ist an?“

Volker winkte ab. „Das war auch schon vorher so. Ist automatisch. Jetzt wird’s aber Zeit für eine Abkühlung.“

Er ging zum tiefen Ende des Beckens und zog sich aus.

„Sag mal, wer wohnt hier eigentlich?“

„Irgendein fetter Heini mit zu viel Moos. Jetzt genier dich nicht so.“

Während Benjamin sich seiner Klamotten entledigte, hechtete sein Freund nackt in den Pool.

Unter seinen Füßen spürte Benny die Steinplatten, noch warm vom Tag, als er an den Beckenrand trat. Da stach ihm neben dem Chlor, noch ein weiterer Geruch in die Nase, der Benny an den Tierpark erinnerte.

„Komm schon rein!“ Volker spritzte Wasser auf Benjamins nackte Haut.

„Arsch!“ Lachend sprang er ins Becken und kam prustend wieder hoch.

Volker zwinkerte Benny zu.

„Stell dir mal vor, wir kommen mal mit zwei Mädels her.“

Dann legte sich sein Freund in die Rückenlage und schwamm zum anderen Ende des Pools.

Deswegen nahm nur Benjamin aus dem Augenwinkel die Bewegung wahr.

Er drehte sich danach um und sah, wie das Tier an seiner Jeans schnüffelte.

Die Schulterhöhe lag bei mindestens einem Meter. Die Beckenlampen beleuchteten sandfarbenes Fell sowie den Katzenkopf mit der typischen Mähne.

Benny klatschte sich Wasser ins Gesicht und schaute wieder hin. Bernsteingoldene Katzenaugen schienen sich in seine Seele zu bohren.

Keine drei Meter weit von ihnen entfernt befand sich tatsächlich ein lebendes Exemplar des Panthera leo.

Ein Schlag fuhr durch Bennys Körper. Wo war Volker?

Der schwamm noch immer auf dem Rücken.

„Volker!“

Sein Freund richtete sich auf und sah den Löwen.

„Fuck!“

Das Wasser schien förmlich zu explodieren, als Volker sich einen Weg zum gegenüberliegenden Beckenrand bahnte.

„Fuck!“ brüllte er dabei immerzu. „Fuck!“

„Nicht!“ schrie Benny. Das Tier pirschte an die Stelle, die Volker ansteuerte.

Benny fing seinen Freund ab und zerrte ihn in die Mitte des Pools.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, trottete die Großkatze an das Ende des Schwimmbeckens zurück, wo ihre Kleidungsstücke lagen, und setzte sich direkt an den Rand.

„Menschenskind!“ Volkers Stimme bebte. „Ist das ein Löwe?“

„Nee, ein Wellensittich!“ fauchte Benny.

„Wo kommt der bloß her?“

„Gehört wohl zur Bude hier. Sieh mal, der trägt ein Halsband?“

„Ist das legal?“

„Was fragst du mich? Kein Wachhund, wie?“

„Sieht das wie ein Hund aus!?“

Plötzlich brüllte der Löwe. Der Ton war eine Urgewalt, die Serengeti in Klangform.

Die beiden Männer duckten sich tiefer ins Wasser.

Da gingen in der Villa die Lichter an.

Sofort schrien Benny und Volker aus Leibeskräften um Hilfe.

Eine Amazone im Morgenmantel trat auf die Terrasse. Blondes Haar fiel lose über ihre Schultern.

„Sie da!“ kreischte Volker. „Legen Sie den Simba an die Leine!“

Seelenruhig rief die Frau dem Löwen ein Wort zu, das Benny nicht erkannte. Das Tier lief zu seiner Herrin, die ihre Hand fest unter das Halsband einhakte. Mit dem König der Savanne an ihrer Linken, wandte sich die fremde Blondine an Volker und Benjamin.

Sie sprach nur zwei knappe Worte, doch unterstrichen mit einer deutlichen Geste.

„Raus. Sofort.“ Es klang wie „Rrauss. So-e-forrt.“

Danach führte die Frau den Löwen ins Haus und schloss die Tür hinter ihnen.

Benny und Volker sprangen fast aus dem Pool und zogen sich tropfnass an. Dann kletterten die beiden Männer über die Mauer, wo auf der anderen Seite Volkers Audi wartete.

„Die gehört angezeigt“, schimpfte Volker. „Hält sich einen Löwen im Garten.“

„Und wie erklären wir den Bullen, warum wir da drin waren?“ knurrte Benjamin.

„Schließ endlich auf. Ich will weg.“

„Ja, Ja! Schon gut.“

Volker griff in seine Hosentasche Plötzlich trat ein verwirrter Ausdruck auf sein Gesicht. Er wühlte in beiden Taschen herum und klopfte schließlich seine Hose ab.

„Benny, ich glaub, die Schlüssel liegen noch am Becken.“