Jan Geiger ist mitten in der Freien Szene

Von Katrin Diehl

Jan Geiger kennt das Gute am Theater und deshalb möchte er es füttern und das fast beständig, denn es ist sein Ding,  dialogisch zu schreiben. Seine Website lädt zu Texten ein, die auf ihre Uraufführung warten, andere sind im Verlagsprogramm des „Drei Masken Verlag“ untergekommen, wieder andere habe es längst auf die Bühne geschafft. „Und da steht man dann jedes Mal ein bisschen ungläubig davor“, sagt Jan Geiger, bisher sei es aber immer nur toll gewesen, immer nur schön und jedes Mal staune er, was da alles noch bei der Umsetzung seines Stücks passiere.

Manchmal haut Jan Geiger auch von jetzt auf nachher einen Theatertext raus, weil nichts dagegenspricht, alles gerade stimmt, die Zeit da ist, die Energie da ist, die Idee da ist, die Sprache da ist, das Verlangen da ist.

Im Dezember des vergangenen Jahres hatte „Lacrimosa“ im Pathos Uraufführung, ein Stück vor dem Hintergrund von Corona, in dem es ums Trauern in seiner großen Gänze geht. Ein Chor steht da bereit, aber das Singen bleibt ihm versagt. Man darf nicht mehr jubilieren, die Mikrofone sind abgestellt, die Raumbeleuchtung ohne Strom. Trauer macht sich breit, auch Trauer um die ersten Toten, die ohne Gesang zu Grabe getragen werden müssen. „Ich habe mich da auf die Suche nach den unterschiedlichen Formen von Trauer gemacht und wo sie zusammenfließen, was sie miteinander zu tun haben und was das für die Kunst bedeutet“, sagt Jan Geiger und schiebt eines seiner Lieblingszitate aus dem Stück nach: „Meistens werden die Ertrunkenen ans Ufer gespült, wo sie von euch eingesammelt werden. Sie werden nicht gefischt, sie werden gefunden. Wenn einer von uns stirbt, sinken wir auf den Grund: Wir gehen nur verloren. Dass man eure Körper findet, ist das etwas Gutes?“ Die SZ zeigte sich von „Lacrimosa“ sehr angetan.

In „Innuendo“, das 2020 Premiere gefeiert hat, geht’s um ein gelebtes Leben, eine leibhaftige Biografie, die Liebesgeschichte eines schwulen Mannes während des Zweiten Weltkriegs, während des Nationalsozialismus. „Thema ist damit die Kraft zur eigenen Emanzipation aus all den Unterdrückungen des zeitgeschichtlichen Mainstream-Denkens heraus“, sagt Jan Geiger, und dass es ihm dabei auch sehr „um das Auseinandersetzen mit so einer Großelterngeneration und deren Leben und Ängste“ gegangen sei und „wie so eine Auseinandersetzung aussehen kann, wie sich die Bewertung der Dinge immer neu schreibt“.  Für die Bühne hatte Jan Geiger das Stück zusammen mit Lea Ralfs entwickelt.

Hinter „Kow Loon“, 2015 uraufgeführt, steckt die Weltfinanzkrise der frühen 2000er.  Es sei das konventionellste Stück, das er jemals geschrieben habe, findet er. Drei Manager einer Bank versuchen da, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen, und das auch noch, als die Bank Richtung Bankrott taumelt. Eine Frau gesellt sich dazu, tritt ein in den kapitalgeilen Haufen, kann sich nicht lang halten. Und auch insgesamt geht die Sache schlecht aus, von einem Happy End weit und breit keine Spur.

Jan Geiger, der 1987 in Tübingen geboren wurde, in Leipzig „Literarisches Schreiben“ studiert hat („da habe ich gelernt, alles auszuprobieren, in jede Richtung reingehen zu können“), lebt jetzt schon eine ganze Weile in München. Er bewegt sich durch die Freie Szene und gehört zum Netzwerk Münchner Theatertexter*innen, das in diesem Jahr die Optionsförderung der Stadt München bekommen hat.

Und Jan Geiger ist Sozialarbeiter. „Ja, sicher beeinflusst das eine das andere“, sagt er. „Dadurch, dass ich hier im Schwulenzentrum arbeite, sind die queeren Themen immer irgendwie präsent, und auch die emanzipatorische Haltung, die da drin liegt, und das ist dann etwas, was auch in meinen Texten oft da ist; nicht immer gleich explizit und im gleichen Ausmaß, aber die Themen sind mitgedacht, schwingen mit.“ Lebensgeschichten kämen da zu ihm, die die Vielfalt von Schicksalen demonstrierten, „und das ist bereichernd, ist inspirierend“.

Manchmal stehe, bevor er losschreibe, einfach eine Idee, sagt Jan Geiger, „die mich ganz unerwartet überfallen hat“. Aber dann gäbe es immer auch Themen, die ihn über einen längeren Zeitraum hinweg anlockten und umtrieben, und das verlange dann erst einmal nach „konzentrierter Recherche, nach einigen Lektürestunden“. „Und manchmal läuft das auch beides zusammen: Da taucht eine Idee aus dem Nichts auf, und damit ich mit der umgehen kann, muss ich erst einmal viel recherchieren …, und das ist dann auch oft gut, so richtig gut sogar.“

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov und Annika Domainko.