Wenn ein Autor mit 88 Jahren seinen Debutroman vorlegt, wäre das allein schon eine Erwähnung wert. Wenn er es tut, um seinen Kameraden aus der Schulzeit, die den Zweiten Weltkrieg nicht überleben durften, ein Denkmal zu setzen, dann schon gleich zweimal.

Viktor Niedermayer ist im niederbayerischen Straubing zur Welt gekommen – 1926. In seinem soeben erschienenen Roman „Finsterland“ beschreibt er seine Kindheit während der Nazi-Herrschaft, also von 1933 bis nach dem Krieg, wo er sich in der amerikanischen Besatzungszone wiederfindet. Er beschreibt, wie in den Schlafzimmern neben den Heiligenbildern plötzlich Hitlerporträts auftauchen, wie Menschen mit jüdischen Namen scheinbar wegziehen, wie er wegen subversivem Unsinn aus der HJ fliegt und zur Pflicht-HJ muss, wo nur Spinner und Querulanten sind und seine Mutter ihn inständig bittet, sich doch wieder einer normalen NS-Organisation anzuschließen, weil sie Repressalien fürchtet. Er beschreibt, wie er – als bergsportbegeisterter Jugendlicher – dann doch eine eigene Hitlerjugend bekommt, die „HJ-Bergfahrtengruppe“, wo er allerdings zu spät begreift, dass seine Gruppe nur der Vorbereitung zum Partisanenkrieg im Alpenraum dient.

Wie gesagt, er beschreibt. Es ist ein knapper, wenig erzählhafter Berichtstil, der den Autor distanziert auf die Zeit blicken lässt. Niedermayer gelingt es, dass seine Texte nicht zu einer Ansammlung von Anekdoten verkommen. Die Genauigkeit der Beschreibungen von Orten, Kameraden, Befehlshabern und Situationen schärfen uns Lesern den Blick auf die NS-Zeit, von der wir dachten, schon alles gelesen zu haben. Bei Viktor Niedermayer ist diese Zeit nochmal neu und vertraut zugleich und dazu sehr irritierend, denn er lässt uns spüren, dass das Hitler-Regime auch Faszinationen bereit gehalten hat.
Michael Berwanger

Viktor Niedermayer
Finsterland
Roman, 206 Seiten gebunden
Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2015
18,90 Euro