Als Mitte Mai dieser kräftige blaue Hai vor Mallorca seine Kreise zog, die Bademeister Liegestühle in den Sand setzten, Sonnenschirme, da dachte mancher Mallorca- und Sonnenhungrige: Diese ganzen Romane, die in diesen Liegestühlen schon gelesen wurden und demnächst wieder gelesen werden, was nützen sie uns, um in rechter Weise mit dem Blauhai umzugehen?

Wir haben ohne Zweifel aus Romanen, auch wenn das nicht ihr tieferer Sinn sein mag (haben sie einen?), allerhand fürs Leben gelernt: Wenn Männer mit den Beinen schlenkern, bedeutet das nichts Gutes („Zauberberg“)! Wenn sie und ihre Gespielinnen an Roulette-Tischen auf die Ankunft der russischen Großtante warten, führt dies ins finanzielle und moralische Verderben („Der Spieler“), und wenn Männer zum Forellen-Angeln in spanische Flüsse gehen, führt das zu erhöhtem Alkoholverbrauch („Fiesta“). Dagegen warnt uns Miguel de Cervantes schon seit 400 Jahren vor dem Lesen von allzu vielen Romanen, um daraus gleich wieder einen neuen zu flechten, in dem zwar der Umgang mit Windmühlen gelehrt wird, nicht aber der mit robusten Haifischen. Hans Hass hingegen, vor drei Jahren verstorbener Wiener Tiefseeforscher, schildert in einer seiner Reportagen den lauten Schreckensschrei als Hai-Abwehr. Eine Kulturtechnik, die gut trainiert sein will, zumal sie unbedingt unter Wasser ausgeübt werden muss. Und Hass wollte keine Romane schreiben, sondern Fakten bieten.

Aber war es wirklich so? An dieser feinen Nahtstelle zur modernen Großstadt-oder Wander-Sage voll von Spinnen, Wölfen und Bären muss man teuflisch aufpassen, um nicht der „Schwarzen Spinne“ auf den Leim zu gehen, wie sie J. Gotthelf (schon sein Namen ist pseudo) in einer fantastischen Erzählung des 19. Jahrhunderts gebar. Wer kann schon sicher sagen, dass der Hai, von dem der Nachbar behauptet, er habe ihn beim letzten Tauch-Urlaub vor Malle getätschelt, ein echter war, wenn gleichzeitig vor Australiens Küsten hai-abgerissene menschliche Körperteile gefilmt werden?

Und wie verhalten wir uns gegenüber der Spinne, die uns morgen schon aus der Bananenkiste im Discounter unverwandt anblicken wird? Welche Lektüre empfehlen wir unseren Kindern? Nüchternes Zeitungslesen, trockener Diskurs?   Nützen auch nichts, denn in der SZ las man vor kurzem (2.5.16), dass in einer oberfränkischen Kleinstadt eine riesige schwarze Spinne im Supermarkt aus der Bananenkiste kroch, und daneben krabbelten „unzähliche Gleindiere“. Sofort holte das Discounter-Riskmanagement den Fachmann vom THW. Dieser, das Getier sehen und es schockgefrieren war Eins, denn es handelte sich ja offenkundig um die hochgiftige „brasilianische Wanderspinne“. Wir spürten kurz die journalistische Versuchung, der Sache auf den Grund zu gehen. Wir haben ihr widerstanden. Und was ist jetzt mit dem Hai?
WH.