Meine Mutter quälte sich zum Dorfarzt. An ihrer Seite ging Georgios, ihr Ehemann, der sie untergehakt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie sich beide jemals so nahe gezeigt hatten in aller Öffentlichkeit. Die Leute würden reden. Schon über 20 Jahre waren sie verheiratet, eigentlich schon seit 25 Jahren, wenn sie so recht darüber nachdachte. Sie litt dieser Tage unter Bauchschmerzen und Übelkeit. Sollte es möglich sein, dass sie schon wieder schwanger war? Sie liebte ihre acht Kinder, aber allmählich war sie müde vom ewigen Kinderkriegen und der Kindererziehung und den 42 Jahren, die sie alt war.

Die acht Kinder waren, fast jedes zweite oder dritte Jahr zur Welt gekommen. Endlich, nach bereits sechs Jahren liebevoller Ehe, in denen sie schon oft im Stillen gedacht hatte, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmte, hatte sie mit dreiundzwanzig ihr erstes Kind geboren. Zu dieser Zeit und auf diesem Fleck Erde war es üblich, wenn nicht sogar der Sinn des Lebens, Kinder zu bekommen, viele Kinder, wollte man nicht das Dorfgespräch werden, das sie längst schon geworden waren.

Die Untersuchung beim Dorfarzt brachte das Ergebnis, das sie geahnt und auch ein wenig befürchtet hatte. Sie war schwanger, ein neuntes Mal. Sie sei zu alt zum Kinderkriegen, sagte der Arzt, und legte ihr ein paar bunte Tabletten in die linke Hand. Er war der Ansicht, dass acht Kinder ausreichend waren, und ein weiteres sie nur schwächen würde, und dass sie das Kind abtreiben sollte. Der Doktor drückte ihr die freie Hand zum Abschied, und bedrückt, fast einsichtig verließ sie das Arztzimmer.

Der Warteraum grenzte direkt an das Sprechzimmer, und beim Verlassen stand Maria inmitten der gelangweilten Dorfkranken, deren immer gleicher Lebenstrott nach neuem Tratsch verlangte. Sie gafften sie an, bis ihr Durst nach Gerede den Warteraum schließlich in einen Käfig voller gespannter Neugierde verwandelt hatte. Sie wollte ganz schnell flüchten von diesem Ort, von all den Wissbegierigen. Ihr Blick traf auf die Augen ihres Mannes, der ihre Aufforderung auch ohne Worte verstand.

Auf der letzten Treppenstufe zur Straße nahm sie, immer noch schweigend, Georgios Arm, und sie spazierten still hinunter zum Fluss. Am Ufer blieb sie stehen und warf etwas in den Strom, das Georgios nicht erkennen konnte. Die Fische schwammen an die Oberfläche und schnappten danach. Weiter unten am Fluss angelten die Fischer des Dorfes.

„Was war das?“ fragte Georgios.

Maria starrte ins Wasser, „der Arzt meinte, ich soll unser Kind abtreiben. Es soll das letzte Kind sein, das ich zur Welt bringe. Ich glaube, wir haben dann genug Kinder, mein Lieber.“

„Ach Maria“, lächelte Georgios und zog sie zu sich heran.

Nachdenklich blieben sie am Flussufer hocken bis die Sonne längst untergegangen war.

Neun Monate wohnte ich schon in meiner Mutter und teilte mir ihren engen Körper mit meiner Schwester. Vor einer Weile hatte der Arzt uns noch töten wollen, aber meine Mutter war seinem erhabenen Rat nicht gefolgt. Keiner hatte meine Anwesenheit bemerkt, nur die meiner Schwester.

Bald würde meine Mutter auch mich gebären, völlig unerwartet von ihr, von allen. An einem Samstag war es soweit. Wir Zwillinge wollten hinaus in die Welt, die auf uns wartete. Oder etwa nicht?

Einen weiteren Anschlag auf unser Leben mussten wir noch überstehen.

Eine Verwandte der Familie, die eben noch auf dem Feld gearbeitet hatte, wurde von meinen Geschwistern gedrängt, sofort der Mutter bei der Geburt zu helfen. Die Tante eilte herbei, entledigte sich ihrer dreckigen Arbeitsschürze, wusch sich penibel die erdigen Hände rein, bevor sie meine Schwester aus meiner schreienden Mutter quetschte. Und als ich mich schließlich ohne Hilfe aus ihrem schwangeren Leib befreite, erschrak die Helfende, die nicht mehr als eine Nachgeburt erwartet hatte. Stattdessen sah sie mich und mein erster unscharfer Blick traf auf ihre aufgerissenen Augen.

Wir Zwillinge waren winzig, weil wir doppelt auf die Welt kamen. Die Tante wandte sich vertrauensvoll und mit ernster Miene an meine überraschte aber glückliche Mutter.

„Maria, wenn du willst, dann schmeiße ich die beiden Kleinen in den Fluss, noch heute Nacht. Sie sind so klein und schwach, dass sie dir wegsterben werden. Es bleibt unser beider Geheimnis.“

Erschrocken drückte meine Mutter mich ein bisschen zu fest an ihre pralle Brust, was mich plötzlich aufschreien ließ. Mit brennendem Atem schleuderte sie der Verwandten die Worte ins Gesicht „nein, meine Kinder bleiben bei mir, und wenn Gott sie mir wegnehmen will, dann bestimmt allein er den Zeitpunkt.“

Am 24.Juli 1954 begann mein drittes Leben.

Iliana Karagialani