Der Kaiser tot, der Joachim Kaiser – kann nicht sein, wird nicht akzeptiert! Niemand protestiert mehr gegen Hagelschlag, soll er gesagt haben, bezogen auf seine Kritiken, so unvermeidlich, unwiderleglich gingen sie nieder – jedenfalls mit einer Prise Selbstironie, doch, das trauen wir ihm zu, jederzeit, bei aller – sozial durchaus kompatiblen – Eitelkeit. Aber sein Abschied ist für Menschen, die in den Sechzigern oder Siebzigern erwachsen wurden und zur SZ griffen, die schon früher Radio hörten, diese Kaiser-Sendungen im BR, schlichtweg nicht akzeptabel. J. K. gehört dazu, fast wie die Sonne, die Wolken, das Grün. Man konnte sich mal über ihn ärgern, an seinen Silvesterquizfragen qualvoll scheitern, aber dann auch wieder wohl begründet, sich aufrichten, wenn er gegen den Mainstream für manchen sperrigen Walser-Roman plädierte, für Böll, für den späten Hemingway („Über den Fluss und durch die Wälder“) oder auch, beispielsweise, für die gelungene Orchestrierung der Chopin- Klavierkonzerte, die er bewunderte, wie man dies als Musik-Laie ohnehin schon längst getan hatte.

Das „Fabelhafte“ um eines seiner Lieblingsworte zu benützen, wenn J. K. über Musik schrieb, war ja, dass man nicht unbedingt in allen Details verstehen musste, wieso die „Durchführung“ nach der Coda wieder aufgenommen und im Finale genial vollendet wurde oder so. Oder wieso der Pianist A das Largo in exakt 72 Sekunden so ausdrucksvoll spielen konnte, was der B weit langsamer verfehlte – nein, man konnte der Kaiserschen Stimme, seinem Sprachduktus, auch dem geschriebenen lauschen, und nur Teile davon umsetzen in Verständnis, den Rest für später bewahren, es hörte oder las sich dennoch meist mit Vergnügen – also jedenfalls für viele von uns.

Erinnerlich auch manches Abseitige, etwa ein Streiflicht (29.8.1991), „hupp“, über den alkoholisierten Harald Juhnke, das, „hupp“ im ersten Streiflichtbuch abgedruckt wurde. Eine brillant-präzise Besprechung des Liliencron-Gedichts „Bruder Liederlich“(SZ v.3.3.87). Oder die J. M. Simmel-Analyse, dass dieser „Liebe“ einfach nicht kann. Erinnerlich die Kontroversen, etwa um das Verständnis von Operntexten (J. K.: „unerlässlich!“) das Spiel ums frech-liederliche Regietheater (J. K.: „grässlich“) – oder sein Geständnis, das Leben in allen Facetten zu genießen und dennoch (aber wieso: dennoch?) nachzudenken über ästhetische, philosophische Grundsatzfragen. All das durften, konnten, wollten wir mit ihm, dem bekennenden „Alt-45er“ erleben, der die Alt-68er womöglich missverstand.

Woody Allen, einmal gefragt, wie er zum Tod stehe, meinte, er sei dagegen, ganz entschieden dagegen! Eugen Roth spottete ähnlich. Und vielleicht würde J. K. uns verzeihen: das Schwerste gerade weil man es in der Kunst ohnehin schon immer nachvollzogen und vorbereitet hat, auf leichte, etwas spöttelnde Weise zu nehmen?

Wolfram Hirche