Von Angela Gutschmidt

Wandertag, Treffpunkt acht Uhr im Klassenzimmer, weil: um neun Uhr zehn fährt die BOB am Hauptbahnhof weg! Fünf Minuten Fußweg zum U-Bahnhof, zwölf Minuten U-Bahnfahrt und dann noch mal fünf Minuten zu Fuß quer über den Hauptbahnhof. Bleiben schlappe achtunddreißig Minuten zwischen Treffpunkt und Zugabfahrt. Die lassen sich aber locker damit füllen, auf fehlende Schüler zu warten, die noch mal eben aufs Klo geflitzt sind, fünfunddreißig mal die Frage zu beantworten, wo es denn eigentlich hin geht und – natürlich! – die Expedition zur wenige Minuten entfernten U-Bahnhaltestelle.
Um zu wissen, ob nun noch zwei oder zwölf Schüler abgehen, zählt man ein-fach mal durch. Ist aber nicht so einfach, denn Schüler halten während dieser Aktion ebenso still, wie ein Wurf junger Hunde, sodass die Ergebnisse bei 32 anwesenden Schülern zwischen 25 und 35 variieren. Außerdem ist es undenkbar sich neben irgendeinem ungeliebten Mitschüler abzählen zu lassen. Abzählen dauert also auch eher länger.
Der nächste Bremsfallschirm wird am U-Bahnkiosk gezogen. Ein Schulausflug ohne selbst Geld ausgegeben zu
haben, ist für Schüler eine Zumutung.
Es ist auch gar nicht überzeugend, dass man deshalb vielleicht den Zug verpassen könnte.

In der U-Bahn findet dann der erste Brüllwettbewerb statt. Sind ja genügend Fahrgäste als Jury im Abteil, die sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zuhalten oder wahlweise die begleitenden Lehrer mit bösen Blicken bedenken. Da Schüler grundsätzlich nicht davon zu überzeugen sind, dass die halbe Lautstärke mehr als locker bei Unterhaltungen reicht, macht man als Lehrer am besten ein genauso angestrengtes Gesicht wie die Mitreisenden und tut so als gehöre man gar nicht dazu.
Auf dem Hauptbahnhof wimmelt geradezu von Bremsfallschirmen: hier ein Pizzakiosk, dort eine Eisdiele, und da drüben Hot Dogs, Süßigkeiten und Softdrinks. Hier keinen Schüler zu verlieren ist eine echte Herausforderung!
Hat man den Zug bestiegen, ist alles gut. Denkt man sich mal so. Blöd nur, wenn man den Zugteil nach Tegernsee statt nach Lenggries erwischt hat. Vom hinteren Zugende zu den vorderen Waggons innerhalb von drei Minuten zu wechseln, ist nämlich auch dann eine spannende Angelegenheit, wenn die Hälfte der Klasse rennt. In den hinteren Reihen finden sich immer ein paar, die das Rennen als eine völlig überflüssige Fortbewegungsart betrachten. Schwitz man nur. Sieht auch nicht besonders lässig aus. Schwitzen tun daher nur die Lehrer bis auch der letzte Schüler im richtigen Waggon sitzt.

Beim Aussteigen löst der Blick auf den Berg Entsetzen aus. So weit! So hoch! Und das bei so viel Sonne! Warum konnten wir nicht bowlen gehen? Langsam setzt sich der Schülerwurm in Gang.
Manche checken, dass es schlau ist, vorne mitzugehen, weil man dann länger Pause hat, wenn man auf die Langsamen warten muss. Andere checken, dass man viel mehr Blödsinn machen kann, wenn man sich zurückfallen lässt. Die wenigsten checken, dass es nicht so schlau ist, das mitgebrachte Getränk in der ersten Viertelstunde auszutrinken.
„Kann man sich am Gipfel was kaufen?“
„Nein.“
„Ist da keine Hütte?“
„Nein.“
„Aber Sie haben doch gesagt, dass man da was kaufen kann.“
„Nein.“
„Sie sind so fies!“
„…“
Aber irgendwie erreichen am Ende doch alle den Gipfel.
Glücklicherweise, denn sonst wären zu wenige da, um die Stille der Natur herauszufordern. Brüll-, Kreisch- und  Kicherwettbewerb, Teil II, untermalt mit Einlagen aus der Rubrik Weinen. Denn, egal wie anstrengend das Bergaufsteigen ist, zum Ärgern, Streiten und Beschimpfen haben sie immer noch genug Luft. Der eine äfft nach, der andere beschimpft und schon wird geboxt. Dass da schnell einer weint ist klar. Und weil man dann möglichst großen Abstand zu seinem Widersacher braucht, zieht sich die Schulklasse bald über mehrere hundert Meter auseinander. Dann haben die ersten gecheckt, dass der Zug zurück nur jede Stunde fährt. Sie versuchen, zum Bahnhof zu rennen. Das merken die am anderen Ende aber nicht.

„Aber wenn wir rechtzeitig am Bahn-hof sind und noch Zeit ist, ehe der Zug kommt, können wir uns noch was kaufen.“
„An dem Bahnhof ist kein Kiosk.“
„An allen Bahnhöfen ist zumindest so ein Automat.“
„An dem nicht.“
„Sie sind so fies!“

Irgendwann haben alle heil den Bahnhof erreicht. Der Zug ist gerade abgefahren. Es bleiben also fünfundfünfzig Minuten Zeit, sich darüber aufzuregen, dass es keinen Automaten an der Haltestelle gibt. Besonders hartnäckige Schüler quengeln übrigens bis zur letzten Sekunde in München, um ihr mitgebrachtes Geld ausgeben zu können.

„Aber am Hauptbahnhof können wir uns doch noch was kaufen.“
„Wir wollen alle schnell heim.“
„Ach, manno, da gab’s so leckere Pizza!
Ich bin schon völlig verhungert, weil Sie mir verboten haben, was zu kaufen.“
Am besten guckt man die Schüler dann mit leerem Blick an und tut so, als verstünde man ihre Worte gar nicht. Dann fangen sie nämlich an, in ihren Rücksäcken zu kramen. „Na gut, dann ess’ ich eben meine Brotzeit, wenn ich mir nix kaufen darf!“
Zum Vorschein kommt ein leckerer Sandwich, den sie resigniert verschlingen: viel zu uncool.   n

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