„Pluriversum“, die neue Ausstellung im Literaturhaus, ist dem Autor und Filmemacher Alexander Kluge gewidmet.

Von Katrina Behrend Lesch

Auf dem Lampenschirm sind Soldaten mit nackten Hintern abgebildet. Die „Grenadiere im Regen“, eine Hommage an Stanley Kubricks gescheiterten Napoleonfilm, wurden von Thomas Thiede gemalt. Für den Freund Alexander Kluge, der den Film aus dem nachgelassenen Material vollenden wollte, was wiederum am Tod von Helmut Dietl scheiterte. Daneben läuft der Minutenfilm „Der verhüllte Marx“, von einem venezianischen Künstler als Apoll geschaffen – „Er war ja auch einmal jung“. Gleichzeitig die Dokumentation von 1969 „Ein Arzt aus Halberstadt“, Besuch meines Vaters in München – „Mein Vater hat kein Gewicht im Vergleich zu Karl Marx, aber ich liebe ihn“. Hinzugefügt sind Stefan Moses’ Triptychen von der Verhüllung des Marx-Engels-Denkmals kurz nach der Wende in Ostberlin. „Derart unterschiedlich gewichtete Dinge lassen sich nur in einer Ausstellung miteinander verknüpfen“, sagt Alexander Kluge, während er durch sein „Pluriversum“ im Literaturhaus führt.

Kluges Blick auf sein Lebenswerk ist nicht nostalgisch in Sepia eingefärbt. Der Schriftsteller, Filmemacher und scharfsichtige Chronist unserer Gesellschaft hat das gemacht, was er immer macht. Für sein „Pluriversum“ hat er nach allem gegriffen, was ihm wichtig erschien, lieb und teuer war, und hat es neu zusammengefügt. Bewusst meidet er die Retrospektive, den Blick zurück, er schöpft für seine Ausstellung aus den Kraftquellen, die in seinem Leben eine Rolle spielen, aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Film. Er arrangiert Texte mit Objekten, Teleskope mit Fliegerbomben, Kunstwerke mit Tondokumenten, Filme mit Artefakten und überlässt es dem Betrachter, sich aus allem seinen eigenen Film zu montieren. Der Besucher der Ausstellung solle aber nicht den Ehrgeiz haben, alles sofort zu Ende zu denken, sagt Tanja Graf in ihrer Einführungsrede, besser sei es, öfter in die Denkwerkstatt zu kommen und jedesmal auf Neues zu stoßen. Die Leiterin des Literaturhauses hat die Ausstellung, die bereits am Folkwang-Museum in Essen und in Wien im Belvedere 21 lief, nun nach München geholt, auch weil es ihr unverständlich erschien, dass bisher noch keine Schau dieses Kalibers dem seit 1958 hier ansässigen Alexander Kluge gewidmet war.

Und der wäre nicht der kreative „Tausendsassa“, wenn er nicht noch einmal zugelegt hätte. Kluge adaptierte das Konzept der Schau für München und ergänzte es mit Bezügen auf 30 Jahre Wiedervereinigung. Essenziell für ihn ist der Austausch mit Künstlerkolleg*innen wie Anselm Kiefer, Kerstin Brätsch, Markus Heinsdorff, Thomas Thiede und Thomas Demand, gemäß dem Motto „Ohne von anderen Gestirnen beleuchtet zu werden, leuchtet mein Mond nicht“. In Zusammenarbeit mit Ausstellungskuratorin Karolina Kühn entstand eine multimediale Rauminstallation, ein sich von Station zu Station veränderndes organisches Gebilde, anschaulich in Szene gesetzt vom Studio unodue. So wird man bei Eintritt in die Ausstellung von einer „Sternenkarte der Begriffe“ empfangen, die sich über die Wände spannt und zentrale Themen und Gedanken aus Kluges Text- und Bilderkosmos zeigt. Man blickt mit ihm in den Weltraum – „er hat was Tröstliches, ihn gibt es immer, auch wenn wir auf der Erde Mist bauen“ –, fühlt sich vom Leben in einer digitalen Welt angezogen – „auf Knopfdruck einem Menschen in China zu begegnen ist großartig“. Doch der Vereinfachung durch die Algorithmen – „die Lücke, die der Teufel lässt“ – müsse man die Künste und die Wissenschaften, die Lust und den Aberglauben dagegensetzen und sie zusammenführen, wie man es in den Wunderkammern des Barock getan hat.

Da steht die Arriflex Kamera, mit der Kluge seine Filme drehte, neben einer Flaschenpost als nicht untergehendem Hoffnungsträger. Da verknüpft Arachne, die mythische Spinne, ihre Fäden, analog zu Kluges Methode, unverhoffte Zusammenhänge zwischen so universellen Themen wie Arbeit, Evolution, Liebe, Krieg und anderen Katastrophen herzustellen. In acht Räumen gewinnt man Einblick in sein künstlerisches Schaffen und Denken. Sie sind angefüllt mit Fotos, Bildwerken, Skulpturen, Texten, Klangstationen und Filmen, neben einer Auswahl seiner berühmtesten Langfilme und den sogenannten Minutenfilmen auch eigens für die Ausstellung entstandene. In der „Speisekammer“ hängt Anselm Kiefers „Elefantenhaut“, die Kluge beim Drehen seiner Filme nutzte. An die Evolution wird mit Kiefers „Hirnhäuslein für Alexander Kluge“ gemahnt, eine Anspielung auf Martin Luthers Vorstellung des menschlichen Gehirns. Verstand und Gefühl, darauf setzt Kluge beim Betrachter. Er jedenfalls ist reich daran.

Alexander Kluge „Pluriversum“ Die poetische Kraft der Theorie. Ausstellung im Literaturhaus München,
Salvatorplatz 1. Noch bis zum 29.9.2019.
Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa/So/Feiertage
10-18 Uhr. 7/4 €. (montags für Studierende und Schüler*innen 2 €).