Von Helmut Michael Schmid

Es ist ein außergewöhnliches Tier“, sagte der Zoohändler und deutete auf einen grün-gelb gefiederten Papagei. „Außergewöhnlich intelligent und außergewöhnlich sprachbegabt. Sie werden Ihre Freude mit ihm haben.“

Ich hatte eigentlich vorgehabt, einen Hamster zu kaufen, aber der Verkäufer hatte mich mit penetranter Beharrlichkeit davon abgebracht. „Was kann Ihnen denn ein Hamster bieten? Rennt den ganzen Tag im Laufrad und scheißt den Käfig voll. Dieses Prachtexemplar“ – er deutete wieder auf den Papagei – „bietet Ihnen etwas ganz anderes: Geselligkeit, Kommunikation. Wer redet denn heute noch mit einem? Da ist ein sprachbegabter Papagei genau das Richtige.“

Der Papagei machte einen gepflegten Eindruck. Die Federn glänzten und die Krallen sahen gesund aus. Mit seinen dunklen Knopfaugen betrachtete er mich als wolle er ausloten, ob ich für ihn ein adäquater Gesprächspartner sein könnte. „Und außerdem“, begann der Verkäufer wieder, „haben Sie einen Partner fürs Leben. Diese Spezies wird bis zu 80 Jahre alt.“ 

Es endete damit, dass ich mit einem großen Käfig, in dem der Vogel saß, die Zoohandlung verließ, während die Hamster sich weiter im Rad drehten.

In den ersten Tagen saß der Papagei auf seiner Stange und betrachtete die ungewohnte Umgebung. Der Verkäufer hatte mir empfohlen, ihn mit Kernen aller Art und Obst zu füttern. Ich stellte also täglich eine kleine Schüssel Studentenfutter in den Käfig, dazu Bananenscheiben und Apfelschnitze. Nach drei Tagen fiel mir auf, dass sich der Papagei keinen Millimeter bewegt hatte. Auch den Futternapf hatte er nicht angerührt, das Obst faulte vor sich hin. Ich war beunruhigt. Am meisten irritierte mich, dass er nicht sprach. Vielleicht konnte ich ihn zum Reden bringen, indem ich ihm ein paar Worte vorsagte. Ich zählte von eins bis zehn, sagte Sätze wie „Schönes Wetter heute“ und „Haben Sie gut geschlafen?“

Der Papagei starrte schläfrig durch mich hindurch. Mir war, als wolle er andeuten, dass er mir meine banalen Sätze nicht übelnahm, ansonsten aber mein Geplapper ignorierte. Gut, dachte ich. Wenn er so den Intellektuellen raushängen lässt, soll er mal beweisen was er kann. Ich nahm eine alte Ausgabe von Thomas Manns Zauberberg aus dem Regal und begann vorzulesen. Ich war noch nicht über den ersten Absatz hinaus gekommen, als der Papagei ein Geräusch von sich gab, das sich anhörte wie ein nasser Furz. Das war in etwa derselbe Kommentar, den wir als Schüler bei der Thomas-Mann-Lektüre von uns gegeben hatten.

Vielleicht war Literatur nicht sein Spezialgebiet. Mir fiel ein, dass der Zoohändler das Alter des Papageis auf ca. 50 Jahre beziffert hatte. Was konnte einen Papagei vor 50 Jahren – also etwa Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre – aus der Lethargie gerissen haben? Mir kam eine Idee. Das musste ihn aufwecken. Ich kramte in meinen Unterlagen, zog einen alten Pirelli-Kalender hervor und hielt dem Papagei ein Pin-up von Marilyn Monroe unter die Nase. Seine trüben Augen leuchteten für einen Moment auf und er hob ein paar Millimeter den Schweif. Immerhin wusste ich nun, dass er sich in nonverbaler Kommunikation auskannte. Trotzdem, das Ganze war unbefriedigend. Man hatte mir einen sprechenden Papagei versprochen und keinen Pantomimen. Kurzerhand nahm ich den Käfig samt Vogel und brachte beides in die Zoohandlung zurück.
„Ach, entschuldigen Sie“, sagte der Verkäufer auf meine Beschwerde, „Ich habe vergessen Ihnen zu sagen, dass sein Vorbesitzer Psychoanalytiker war.“
„Und was bedeutet das jetzt?“ fragte ich.

Der Verkäufer sah mich so bedeutungsschwer an als wäre er selber Analytiker. „Wissen Sie, er braucht ein bestimmtes Setting, damit er spricht. Sie müssen sich auf die Couch legen, dann setzt sich der Papagei sofort ans Kopfende.“
„Und dann?“ fragte ich. „Dann sprechen Sie von Ihren Problemen. Der Papagei wird jeden Ihrer Sätze wiederholen und am Ende sagen: „Ich verstehe“.

„Und wenn ich gar nicht über Probleme reden will?“ wandte ich ein. „Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Er wird Sie schon zum reden bringen. Diese Spezies ist hartnäckig.“

„Ist der Vogel denn Freudianer oder Jungianer?“ wollte ich wissen. „Genau genommen Brasilianer“, antwortete der Verkäufer. „Probieren Sie es aus, er wird Sie nicht enttäuschen.“

Ich nahm den Papagei wieder mit nach Hause. Tatsächlich schien alles so zu funktionieren wie der Zoohändler gesagt hatte. Sobald ich mich auf die Couch legte, nahm der Vogel an meinem Kopfende Platz. Um mich einzustimmen erzählte ich ihm von meinem Tag; wann ich aufgestanden war, wohin ich zum Einkaufen ging und wo ich arbeitete. Aber der Vogel sagte nichts. Irgendwann richtete ich mich auf und dreht mich zu ihm hin. Der Papagei saß ruhig da, hatte die Augen geschlossen und atmete tief und fest.

„Verdammt noch mal, hörst du mir überhaupt zu, du komischer Vogel?“ schrie ich ihn an. Der Papagei schreckte hoch, plusterte die Federn und sagte: „Wie fühlt sich das an?“ „Als ob ich gegen eine Wand rede“, antwortete ich wütend. „Ist das Ihr Thema?“

Aber das waren Anfangsschwierigkeiten. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team. Der Papagei scheint sogar über ein genaues Zeitempfinden zu verfügen. Nach exakt 50 Minuten knarzt er: „Wir müssen zum Schluss kommen.“

Nur als ich vor kurzem die Couch verkaufen wollte, wurde er ungehalten und fing an zu zetern. Manchmal glaube ich, er braucht sie mehr als ich.

 

Der Autor hat mit dieser Geschichte am 6. April 2019 den 26. Haidhauser Werkstattpreis gewonnen.