Die „Literaturgeschichte Münchens“ reicht vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart

Von Antonie Magen

München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, […] spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide […]“. Der Anfang aus Thomas Manns Novelle „Gladius Dei“, die er 1902 in München schrieb, ist wohl eine der bekanntesten Beschreibungen der Stadt. Bis heute hat sie sich im kulturellen Gedächtnis gehalten und dient als Paradebespiel der Jahrhundertwendeliteratur, die eine ungeheure Stilvielfalt und Qualität aufweist und nicht zuletzt in München einen ihrer wichtigsten Entstehungsorte hat. 

Weniger bekannt dürfte hingegen sein, dass Münchens literarische Tradition weit über diesen Kulminationspunkt um 1900 hinausreicht und sich seit dem ausgehenden Mittelalter kontinuierlich entwickelte. Zunächst liefen zwar noch oberdeutsche Reichsstädte und altbayerische Klöster der Residenzstadt den Rang ab. Spätestens seit Albrecht III. aber entfaltete sich ihre literarische Bedeutung. In der Aufklärung dann nahm das literarische Leben in der Stadt schnell Fahrt auf. Einen weiteren Entwicklungsschub erhielt es im 19. Jahrhundert. Durch die Kulturpolitik Ludwigs I. und Maximilians II. fühlte sich alles angezogen, was literarisch Rang und Namen hatte. Clemens und Bettine Brentano, Heinrich Heine sowie viele weitere Literaten weilten kürzere oder längere Zeit in „Isar-Athen“.

Es ist das Verdienst der „Literaturgeschichte Münchens“, die von Waldemar Fromm, Manfred Knedlik, und Marcel Schellong herausgegeben wurde und in diesem Frühsommer bei Pustet erschien, das literarische Leben der Stadt vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart detailliert und kenntnisreich nachzuzeichnen. Mit ihrem lokalen Schwerpunkt verfolgt sie zudem ein originelles Gegenkonzept zur üblichen Literaturgeschichtsschreibung, die seit dem 19. Jahrhundert oft national, zumindest regional ausgerichtet ist, sich jedenfalls selten auf einen einzigen Ort konzentriert, um dessen literarischen Reichtum zu entfalten.

Gegliedert ist der Band in 11 Hauptabschnitte („Das ausgehende Mittelalter“, „Humanismus“, „Im Zeitalter des Barock“, „Das Zeitalter der Aufklärung“, „Das kurze literarische 19. Jahrhundert“, „Die Münchner Moderne“, „Die Literatur der 1920er Jahre“, „Literatur in der Zeit des Nationalsozialismus“, „Nachkriegsjahre“, „Gegenmünchen im heißen Sommer“, „Die Literaturstadt München von den 1980er Jahren bis zur Gegenwart“). Jedem Kapitel ist ein Überblicksartikel vorangestellt. Ihm folgen weitere Aufsätze, die sich unterschiedlichen Detailaspekten widmen und modellhaft das Werk einzelner Schriftsteller analysieren. Besonders gelungen ist dieser Ansatz, weil bekanntere Autoren neben unbekannteren stehen. Die hohe Kunst der „Literaturgeschichte Münchens“ ist dabei, dass zwischen beiden Gruppen kein Ungleichgewicht entsteht. Vielmehr wird durch das gemeinsame Bezugssystem München ein vollständiges literarisches Panorama der Stadt geschaffen.

Die Beiträger, die die Herausgeber gewinnen konnten, sind durchweg einschlägige Experten, die z. T. an Münchner Literaturinstitutionen angebunden und dadurch auch einem Leserkreis jenseits der Literaturwissenschaft bekannt sind. So verfasste Laura Mokrohs, deren Name dem Münchner Publikum als Kuratorin der aktuellen Ausstellung in der Monacensia ein Begriff ist, den Aufsatz „Die Schriftsteller und die Revolution von 1918/19 in München“. Peter Czoik, Chefredakteur des Literaturportals Bayern, steuerte einen Beitrag über Carossa bei. Die langjährige Leiterin der Monacensia, Elisabeth Tworek, ist ebenso vertreten wie Holger Pils und Pia Elisabeth Leuschner vom Lyrikkabinett. Der vorletzte Beitrag, eine Übersicht über die Krimiszene, stammt von der Autorin Angela Esser. Sie hat in München bereits eine ganze Reihe von Krimifestivals organisiert, womit zum guten Schluss noch eine ganz andere Facette der Literaturstadt München leuchtet.

Waldemar Fromm, Manfred Knedlik und Marcel Schellong (Hrsg.)
Literaturgeschichte Münchens
616 Seiten, gebunden
Verlag Friedrich Pustet, 2019
39,95 Euro