Ach, der deutsche Wald – schon länger nichts mehr von ihm gehört – meldet sich kaum noch , der alte Bursche bei uns, der Presse. Dabei haben wir’s immer gut mit ihm gemeint, immer ein offenes Ohr für den alten Knaben. Beschwert sich höchstens mal in Facebook über uns, von wegen zu wenig MuNaSchu-Masken für ihn, der alles still erduldet, auf den alles einprasselt, Schwefel, Feinstaub, Viren – oder: zu wenig Regen, ruft er; dann kurz danach wieder: zu viel Regen! Ja, Menschenskind, Kerl, kann man’s dir gar nicht recht machen? Vorsicht! Nicht anschreien den W. – das mag er nicht, sensibel, wie er ist, Einzelkind! Auch die Dichter, früher, haben ihn jahrhundertelang immer gehätschelt, seiner Eitelkeit geschmeichelt, seine Einsamkeit gerühmt. Stifter, Hesse, Hamsun und Goethe, in allen Wipfeln spürest du …

Auch von einem kühlen Franzosen wirst du erwähnt, Wald, bei Albert Camus, dessen „Pest“, nebenbei bemerkt, wir als Stream im Netz gehört haben, von vielen Promis, auch von der Jelinek gelesen, wirklich gut gelesen. In „Der Fall“ meint der Philosoph: „Früher haben Seen und Wälder die Menschen lyrisch erregt – jetzt Lager und Gefängniszellen“ – Kein Vorwurf, mein lieber Wald! Dass du uns nicht mehr lyrisch bewegst, muss ja nicht an dir liegen.

Wir haben das Lyrische gegen die Angst getauscht, die Angst um dich, Deutscher W. gegen die Angst um deinen großen, fernen Bruder, den Amazonas-Wald, der unser aller „Lunge“ ist, wie alle schreiben, und Lunge ist ja gerade das Organ, das uns pandemisch große Sorgen macht. Bloß jetzt nicht auch noch diese heilige Lunge verlieren! Gerade weil wir unsere Wälder schon vor langem großflächig abgeholzt haben, dürfen wir das den Brasilianern jetzt übelnehmen!

Wald-Läster-Mäuler gab es allerdings auch schon immer. H. M. Enzensberger etwa (ja, der schon wieder!), geißelte im Juli 1983, auf dem Höhepunkt von „Waldsterben eins“ im Stern die „Lebenslüge Wald im Kopf“, dabei Canetti zitierend, das „Rigide und Parallele der aufrecht stehenden Bäume“ erfülle das Herz der Deutschen mit „geheimnisvoller Freude“. Na, und wenn schon – immer noch besser, als Granaten und Gewehre – aber nein, wir bleiben dicht am Thema!

Kontern jede Waldesklage sogleich mit „Waldschadensbericht 2 Punkt null“, bleiben ganz cool, nehmen, wie J. Klöckner, die zuständige Ministerin, volllippig tönt, einfach 500 Millionen in die Hand, das ist gerade so Mode, und forsten dich auf, mon cher, wäre doch gelacht, ist alles locker machbar! Und dann, ja dann lassen wir unsere Lyriker*innen wieder auf dich los. Und suchen dann auch unsere August-Einsamkeit in Deiner Tiefe, fluchen gleichzeitig, weil es kein „Netz“ fürs Smartphone gibt und versuchen Dich zu besänftigen mit dem späten Romantiker P. Hille: „Wie deine grüngoldnen Augen funkeln, / Wald, du moosiger Träumer!“

W.H.