Parnass im 4. Stock: Die „Autoren Galerie 1“

Seit nunmehr fast 40 Jahren ist der Schwabinger Pündterplatz Hausnummer 6 eine feste Adresse in Münchens literarischem Leben. Denn hier befindet sich in einer Atelierwohnung im vierten Stock eines liftlosen Altbaus, nur zu erreichen über eine hölzerne Stiege, die durch ein freskenverziertes Treppenhaus führt, eine bemerkenswerte Institution. Sie trägt den programmatischen Namen „Autoren Galerie 1“, mit dem sie ihre Doppelnatur als Galerie und Lesungsort ausdrückt.

Seit ihrer Gründung im Januar 1977 verfolgt sie das Konzept, zeitgenössische bildende Künste und Gegenwartsliteratur zu verbinden. – Konkret geschieht das in Form von zwei- bis dreiwöchigen Ausstellungen, inzwischen 14 in jedem Jahr, die mit der gleichen Zahl von Autorenlesungen verbunden sind. Sie flankieren die Ausstellungen als Vernissage und/oder Finissage. Das Grundkonzept der „Autoren Galerie 1“ ist das Prinzip der Vielfältigkeit, vielleicht sogar die Idee der Gegensätzlichkeit, in jedem Fall der Gedanke der Synthese. Ihr ungewöhnlichstes Merkmal ist der Umstand, dass ihr Gründer und Betreiber, Helmut Vakily, nicht nur Galerist ist, sondern auch selbst Maler. Er verkauft die Bücher nicht nur, vielmehr ist er selbst Lyriker.

Dementsprechend werden in den Ausstellungen, die von Anfang an darauf ausgelegt waren, Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern in gleicher Anzahl zu zeigen, alle Gattungen gezeigt: Malerei und Skulptur ebenso wie Fotografie und Graphik. Ausstellungen, die sich dem Einzelwerk eines Künstlers widmen, gibt es genauso wie solche, in denen verschiedene Arbeiten von mehreren Künstlern aus dem In- und Ausland gezeigt werden. – Bis zu 30 Objekte können in den drei Räumen im Dachgeschoß untergebracht werden.

Mindestens ebenso vielen Besuchern bietet die Galerie Platz, aber bei den Eröffnungen, die durch Autorenlesungen als literarisches Ereignis inszeniert werden, kommen meist viel mehr Gäste. Sie weichen dann, ausgestattet mit Gläsern und Schnittchen (denn sie werden zudem auch großzügig und kostenlos bewirtet), ins Gespräch vertieft in Diele und Treppenhaus aus. So wenig wie sich die Kunstobjekte auf ein Genre festlegen lassen, so wenig ist dies bei den literarischen Gattungen der Fall. Voraussetzung ist nur, dass sie der Belletristik angehören. Bisher gelesen wurden Lyrik, Essays, Erzählungen, Biographien, Ausschnitte aus Romanen, aber auch dramatische Formen wie Szenen aus Theaterstücken und Hörspiele.

Die Liste der Autoren, die hier schon aufgetreten sind, liest sich wie das Register einer Literaturgeschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts: Albert Ostermaier, Martin Sperr, Uwe Tellkamp, Hans Werner Richter, Tankred Dorst, Dagmar Nick oder Christa Reinig, um nur einige zu nennen. Nicht wenige lasen hier das erste Mal zu einer Zeit, zu der sie selbst noch wenig prominent waren. Und so finden sich neben den großen Namen immer noch solche, die bisher (noch) unbekannter sind, deren Lesung in der „Autoren Galerie 1“ aber vielleicht der Beginn einer großen literarischen Karriere ist.

Viele Autoren haben der „Autoren Galerie 1“ auch später die Treue gehalten und sind als bekannte Dichter zu einer zweiten oder dritten Lesung zurückgekehrt. Das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil sie kein Honorar erhalten. Im Gegensatz zu kommerziellen Galerien ist die „Autoren Galerie 1“ nicht profitorientiert und so unabhängig von Markt und Politik. Die ausstellenden Künstler müssen keine Provision zahlen. Dafür lesen die Autoren umsonst. Getragen wird sie im Wesentlichen durch die Beiträge ihrer derzeit 148 Mitglieder. Zudem wird sie durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München unterstützt. – Was zählt, ist allein die Qualität. Sie ist das einzige Kriterium, nach dem Helmut Vakily aussucht. Und natürlich die lange Treppe. Wer die nicht schafft, kann die „Autoren Galerie 1“ nicht erleben.

Antonie Magen