Das Münchner Übersetzer-Forum

Von Stefanie Bürgers

Rechtzeitig zum Internationalen Übersetzertag am 30. September bringen die LiteraturSeiten München den Online-Beitrag der April-Ausgabe 2020 über das Münchner Übersetzerforum noch einmal in der Druckversion. 

Hieronymus, der Schutzheilige der Übersetzer, hat im 4./5. Jahrhundert die Bibel aus dem Hebräischen bzw. Griechischen ins Lateinische übersetzt. Sein Todestag wurde von der UN-Vollversammlung 2017 offiziell zum „International Translation Day“ ausgerufen. Damit wird die oft wenig sichtbare Arbeit von Übersetzern, Dolmetschern und Terminologen gewürdigt, die grundlegende Bedeutung für die Verständigung zwischen den Nationen und für den Weltfrieden hat.

Ein Großteil der Weltliteratur liegt uns kurz nach Erscheinen fremdsprachiger Ausgaben in deutscher Sprache vor. Diese für uns so selbstverständliche Annehmlichkeit verdanken wir der Übersetzung. So wurde „Becoming“ von Michelle Obama von einem sechsköpfigen Team binnen einer Frist von nur zwei Wochen aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen. Alle Fassungen sollten weltweit gleichzeitig erscheinen. Autor und Titel zieren das Cover. Wer übersetzt hat, findet sich auf dem Innentitel. Nur wenige Verlage präsentieren dies auf Cover oder Rückendeckel.

Das schöpferische Werk der Übersetzung sichtbar machen will das Münchner Übersetzerforum. Tanja Handels und Andrea O’Brien waren beide im Team von „Becoming“ und sind im Vorstand des MÜF aktiv, Handels als erste Vorsitzende. Der Einstieg in den Beruf des Übersetzers geschieht oft auf Umwegen. Lange Zeit gab es keine akademische Ausbildung. Das hat sich geändert. Handels hat den Master-Studiengang der LMU für „Literarisches Übersetzen“ mitkonzipiert und ist zusammen mit O’Brien Lehrbeauftragte.

Ein erster Auftrag? Nicht ohne Selbstironie erklärt Handels: „In meinem Fall waren das neben der Übersetzung kunsthistorischer Werke sogenannte Nackenbeißer“ – Unterhaltungsromane, auf deren Cover regelmäßig eine zarte Frau willenlos in die Arme eines muskulösen Mannes sinkt und ihren Nacken darbietet. Ein langer Atem und der Glaube an den Durchbruch seien unerlässlich. Ohne Netzwerk sei der Einstieg schwieriger. Mittlerweile ist sie angekommen, zum Beispiel bei der Erfolgsautorin Zadie Smith, zu der sie auch persönlich Kontakt hat. Förderung für ÜbersetzerInnen kommt auch von staatlicher und städtischer Seite in Form von Arbeits- und Literaturstipendien. Die deutsche Fassung der Essaysammlung „Freiheiten“ (Feel free) bescherte Handels das Übersetzerstipendium des Freistaates Bayern. Der Beruf sei fordernd, unsicher, „man muss sich stets beweisen. Trotzdem, einen schöneren gibt es für mich nicht. Ein Tor zu neuen Welten und Freiheit.“ Kürzlich erschien, von ihr übersetzt, „Die Reisenden“ (The Travellers) von Regina Porter und demnächst ist geplant „Zeig Ihnen, wie man Spaß hat“ (Show them a good time) von Nicole Flattery.

Ihre Berufskollegin Andrea O’Brien wollte schon immer Übersetzerin werden. Sie war 12, und die Songtexte von ABBA und den Simple Minds ergaben wörtlich übersetzt keinen Sinn. Übersetzen musste also viel mehr sein als knochentrockene Übertragung. Mit 15 dann zur planmäßigen Beratung ins Arbeitsamt. Sie wolle Literatur übersetzen. Diesen Beruf gäbe es gar nicht, so der Berater. O’Brien hat sich zunächst als Krimiübersetzerin einen Namen gemacht. Mittlerweile ist sie auch in der gehobenen Belletristik bekannt. „Eine fast perfekte Frau“ (This is your life, Harriet Chance!) von Jonathan Evison hat ihr das Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern eingebracht, für „Was wir voneinander wissen“ (Sight) von Jessie Greengrass bekam sie das Literaturstipendium der Stadt München. Das Buch erscheint im Mai. „Übersetzen von literarischen Texten funktioniert nur in die Muttersprache“, sagt O’Brien, die als Deutsche mit einem Iren verheiratet ist. „Die Erfahrung zeigt, man muss viel Herz und Sprachverstand in einen Text hineinlegen, um ihm in der Übersetzung Leben einzuhauchen.“ Das größte Glück beim Übersetzen? „Wenn der Text fordert und trägt.“ Es gehe nicht um eine rein technisch korrekte Übertragung, sondern auch um Interpretation. Ein neues schöpferisches Werk wird erschaffen, so sehe das auch das Urheberrechtsgesetz.

Das MÜF besteht seit 1996 und ist mehr als nur Netzwerk. Es geht um Weiterbildung und Austausch mit einer Veranstaltung pro Monat für rund 165 Mitglieder von Themen der Altersversorgung über Basiswissen für Krimiübersetzer bis zur Textwerkstatt. In München ist man präsent vor allem im Literaturhaus. Von Anbeginn bietet es dem MÜF in großzügiger Weise Raum für interne Treffen, und ca. vier Mal im Jahr ist das MÜF dort mit einer öffentlichen Veranstaltung zu Gast. Zuletzt im März mit „Das glücklichste Land der Welt“ – Finnland übersetzen. Wie übersetzt man aus einer Sprache mit fünfzehn Fällen?

Ein Forum haben die Übersetzer*innen in München. Doch ihre Namen bleiben zu oft noch „unter dem Deckel“.