Nach unserer Serie über literarische Funde „Aus den Archiven“ beginnen wir mit dieser Nummer der LiteraturSeiten eine neue Folge mit dem Titel „Jung und schreibend“. Die Porträts Münchner Autorinnen und Autoren sollen einen Einblick geben in die junge Literaturszene der Stadt.

Von Katrin Diehl

Etwas bannt. Etwas oder jemand? Und wenn jemand, dann wer? Der? Die? Das? Also doch etwas? Die Lyrikerin und Performerin Lisa Jeschke liefert Beeindruckendes und wenn das jetzt nach laut und hämmernd klingt, dann ist da was dran. Viel meat, viel Fleisch. Aber auch die Knochen darunter zählen.

Jeschke spricht von einem Spalt zwischen sich und der Sprache, der sie mit Abstand auf ihr „Material“ blicken lässt. „Und das ist schon etwas Besonderes, dass man die Sprache so als Objekt, als Material vor sich sieht“, sagt sie. Über diesen Spalt holt sie sich rüber, was sie braucht, setzt es den Gebrauchsgewohnheiten widersprechend neu und quer zusammen. Denn das bietet Lyrik ja: einen „politischen und ästhetischen Freiheitsraum“. Den weiß Jeschke sehr selbstreflektiert zu nutzen. „Da lässt sich sprachlich so eng denken, wie das in normalen Prosasätzen gar nicht möglich ist“, beschreibt sie ihr lyrisches Tun. Und so kann es in ihren Gedichten wild werden, „tausend verschiedene Sachen schwirren da durcheinander, schieben sich ineinander…, das ist dann  so eine Art kondensierter Wiedergabe…“

Ob ihre Texte, Gedichte… jemals fertig werden, ist ebenfalls die Frage. Denn nur, weil ein Gedicht aufhört, bedeutet das ja nicht, dass es abgeschlossen ist. Lisa Jeschke kann sich aus „alten“ Zeilen „angedeutete Sketche oder Details“ holen und die noch einmal „ausführlicher ausformulieren“. „Wer sind diese angesprochenen Boys, wer ist die Kavallerie, was ist mit diesem Schrank?“ Somit treibt Lyrik immer weiter. In Lisa Jeschkes Wortfolgen, ob auf Papier oder performt, schlägt die Sprache manchmal unbändig um sich. Man muss hinsehend und hinhörend lesen, wird performt, das Geschriebene mitdenken und nimmt dabei dann auch noch die Vortragende wahr als eine schmale Gestalt (spielt das eine Rolle?), durch die die Wortketten drücken. Und Schluss jetzt damit, denn man muss nur – mal mehr, mal weniger – Zeit vergehen lassen, um darüber zu staunen, wie viel Konkretes sich im Nachhinein bei all dem doch formt und manifestiert. Lisa Jeschke zu zitieren, heißt im Übrigen immer aus dem Zusammenhang zu reißen, wie hier (aus „Ehe für alle“): „Damals, als der Chef routinemäßig unsere Schädel aufzuknacken / Pflegte wie Nüsse, die Würmer herauspickte und straff entlang der / Universumskuppel zur sofortigen gleißenden Sonnen- / Trocknung aufhängen ließ, hochqualitative Fasern, aus denen das / Leinen der Minidisketten, auf denen wir flogen, produziert / Waren!, so dass wir selbst der Stoff waren!, auf dem wir flogen…“

Geboren wurde Lisa Jeschke 1985 in München. Sie geht  – ihrer Lieblingssprache folgend – für einige Jahre nach Großbritannien, macht in Cambridge ihren Bachelor, promoviert dort über zeitgenössische britische Lyrik, kommt zuerst mit der Performance-, dann mit der Lyrik-Szene in Berührung. Sie  schreibt auf Englisch („… der Kontext, in dem ich gerade war…“), in der Sprache, in der 2018 auch ihr erster Lyrikband erscheint. Dann – seit 2016 lebt Jeschke wieder in München – übersetzt sie den ins Deutsche, „was schon mühselig war“, sagt sie, und dass es am besten sei, man gehe an so etwas, wie an „eine fremde Übersetzung, sonst nimmt man sich leicht immer mehr Freiheiten heraus und die Sache wird nie fertig“.  Der Band trägt den wunderbaren Titel „Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen“. 2019 kommt er im „hochroth Verlag“ heraus, um ein paar Texte erweitert und durchaus beachtet. Gender und Feminismus gibt Jeschke als wiederkehrende, treibende Kräfte hinter ihren Gedichten an, wobei sie mit diesen Schlagworten „nicht gleich wieder in irgendeine Schublade gesteckt werden“ will. Für sie seien sie „eher so ein Schlüssel, um auch ganz andere Sachen verhandeln zu können“. Was es in ein Gedicht von ihr schafft, brodle und arbeite in der Regel schon länger „aber eher unkonkret“ in ihr, sagt sie. Gebe es dann eine Anfrage von einer Zeitschrift, einem Literatur-Event…, dann könne sie daraus „relativ schnell“ etwas machen. „Für meinen Schreibprozess ist es gut, einen Adressaten und Kontext zu haben.“ Ein literarisches Umfeld, Gespräche mit anderen Autoren und Autorinnen sind Lisa Jeschke „total wichtig, wichtiger als irgendwelche Vorbilder oder Traditionen“. Seit letztem Jahr arbeitet sie als wissenschaftliche Assistentin im Lyrik Kabinett, ist zuständig für Projekte und Publikationen, daneben übersetzt sie aus dem Englischen, gibt Lesungen, schreibt Beiträge für Magazine… Und tritt auf die Bühne und legt los. „Und Sorgen muss sich wirklich keiner machen, wenn er nicht alles versteht. Denn irgendwas bleibt ja.“

Die Zukunft

Die Wahrscheinlichkeiten von Zukunft vorbestimmt
Gemäß der jetzigen – das soll alles sein? Wollte einen
Verifikationscode. Angerufen bei den Demoskopen,
Den Postern, sicher das Minimum tausend. Universal-
Verlass. Keiner hob ab. Hatten den Rücken
Gekehrt, bleich vor Sorge, das Klingeln würde von
Gläubigern kündigen. Probierte es mit dem Riss in der Wand.
Keine Antwort. Lege das Handy beiseite, gucke hoch,
Erspähe eine Familiendrohne, öffne die Beine
Und roch.

Lisa Jeschke
(„entstanden während der Brexit- und Trumpzeit“)