Von Karl Valentin bis Wolfgang Koeppen: Das Oktoberfest hat viele SchriftstellerInnen inspiriert

Beginnt erst das Oktoberfest, ist das ein erstes, wenn auch untrügliches Zeichen dafür, dass sich der Sommer seinem Ende zuneigt. Dieser Topos hat sich auch in die Literatur eingeschrieben. Wie kein zweites Medium vermag sie es, nicht nur das bunte, grelle, laute und zuweilen ordinäre Jahrmarktstreiben festzuhalten, sondern kann daneben die leiseren, fast schwermütigen Töne eines Herbst- und Erntedankfestes erklingen lassen.

Ein geradezu melancholisches Bild der Wiesn entwarf Karl Valentin: „Laukühl säuselt schon der Herbstwind durch die Münchner Luft – es herbstelt …“. Und weiter heißt es über den Herbst: „er … nimmt uns vieles, aber er bringt uns auch unser schönes Oktoberfest“. Ähnlich sah es der Oberpfälzer Dichter Georg Britting. Er war es auch, der auf die Irritation aufmerksam machte, die im Namen der Kirmes steckt. Das Fest sei zwar nach dem Oktober benannt, werde „aber in seiner großen Dauer schon im September gefeiert“. Man habe es „so eilig mit ihm, um dem Schnee zu entkommen, der in Oberbayern oft schon sehr früh sich zeigt. Und manchmal ist der Schnee noch schneller als das Fest, das vor ihm auf der Flucht ist, und fällt in die noch vollbelaubten Bäume und überfällt weiß strudelnd die bunten Zeltbauten“.

Ähnlich verwirrend ist sein zweiter Name: die Wiesn. Diese Bezeichnung assoziiert Natur und Idylle. Und auch der naheliegende Vers, den Eugen Roth 1960 in einem Gelegenheitsgedicht ohne weitere Umstände verwandte, nährt die malerische Vorstellung einer friedvollen Abgeschiedenheit. Er reimte bewusst launig: „Zu Münchens schönsten Paradiesen / zählt ohne Zweifel sein Wiesen“. Aber dieser Begriff führt, bei genauerer Betrachtung, ebenfalls in die Irre. Von einer Wiese ist auf der betonierten Fläche des Festplatzes weit und breit nichts zu sehen, wie aus den nächsten Zeilen von Roths Gedicht hervorgeht: „Im Frühling, Sommer, auch im Winter, / ist allerdings nicht viel dahinter, / da ist sie nur ein weiter Plan, / ein Umweg für die Straßenbahn“. Aber dann, im Herbst, verwandelt sich die Asphaltwüste und wird zu einem magischen Ort, zu „des Münchners wundervollste[m] Schatz“.

Damit ist schon viel gesagt über das Verhältnis von Literatur und Oktoberfest, einer intensiven und sublimen Beziehung voller Widersprüche. Schriftsteller unterschiedlichster Couleur haben sich zu Münchens spätsommerlichem Großereignis geäußert: Rilke und Ringelnatz, Klaus Mann und Ödön von Horvath, Wolfgang Koeppen und Herbert Achternbusch, Gerhard Polt und Bruno Jonas, nicht zu vergessen natürlich Ludwig Thoma, um nur einige wenige Namen als Beispiele zu nennen. Und sie haben das mit den verschiedensten Emotionen getan. – Die einen hassen es, die anderen lieben es. Erika Mann sah in der Wiesn ein Fest wie gemacht für die fröhliche Stadt München, wohingegen ihr Vater Thomas nur das verächtliche Verdikt einer „Monstre-
Krimes“ für den vermutlich größten Jahrmarkt der Welt übrig hatte. Oskar Maria Graf war so fasziniert, dass ihm bei seinem ersten Besuch „das Gesicht aus dem Leim“ ging. Bert Brecht und Karl Valentin betrieben vor dem Ersten Weltkrieg gar eine gemeinsame Schaubude. Der österreichische Publizist und naturalisierte Schwabinger Bohémien Alexander Roda Roda verfasste eine Satire auf einen Marktschreier, der zu einem Oktoberfest Tingeltangel einlädt. Für den amerikanischen Schriftsteller Thomas Wolfe hingegen, der in seinem Roman „The Web and the Rock“ (1939) die wohl ausführlichste literarische Darstellung des Oktoberfestes geliefert hat, hatte sein Aufenthalt eher unerwünschte Folgen, die beinahe tödlich verlaufen wären. Er geriet in eine Schlägerei und musste für mehrere Tage ins Krankenhaus. Karoline, die weibliche Hauptfigur aus Horvaths Stück „Kasimir und Karoline“, kehrt vom Oktoberfest „mit gebrochenen Flügeln“ ins normale Leben zurück. Selbst gemordet wird auf dem Oktoberfest, zumindest literarisch, wie der 2013 erschienen Krimi „Mordswiesn“ von Michael Gerwien unter Beweis stellt.

Das Oktoberfest ist also nicht nur ein Meilenstein in Münchens Festkalender, sondern auch ein Höhepunkt der Literatur, weitab von einem gewöhnlichen Rummelplatz. Dass die Wiesn den eigentlich nur als Fassade gewählt hat, stellte bereits 1929 der Münchener Autor Julius Kreis in seinem poetischen „Oktoberfest-Bilderbogen“ fest. Dahinter steckt mehr. Wie vor einem großen Bühnenbild tut sich vor den Bierhallen, Riesenrädern, Kettenkarussellen und was sonst noch an Fahrgeschäften in den Münchener Himmel ragt, das große Welttheater auf. Hier spielt sich, kostümiert in bunte Tracht, alles Menschliche und Allzumenschliche ab. In der Loge aber, hoch oben über der Festwiese, vor der leeren Ruhmeshalle, thront die Bavaria und schaut zu. „Mit dem Lorbeerkranz in der Linken ist sie seit Jahren bereit, irgend jemanden zu krönen. Den bayerischen Löwen hält sie mühsam am Halfter fest, als wolle sie ihn hindern, sich in dem Trubel des Festes zu ihren Füßen zu verlaufen. In den riesigen, von einer bald undurchsichtigen Luft erfüllten Bierzelten sitzt ganz Bayern und alle Ernte des Jahres“ (Wolfgang Koeppen).

Antonie Magen

P.S. Wer mehr über Literatur zum Oktoberfest erfahren möchte, kann dies auf der Website des Literaturportals tun: www.literaturportal-bayern.de > Themen > Im Wiesnrausch