Genuss für Körper und Geist: La Cantina

Als Barbara Markus den schon seit langem leer stehenden Laden in der Elisabethstr. 53, ein ehemaliges Pelzgeschäft gegenüber vom Nordbad, in Augenschein nahm, – „Ich habe ihn nicht gesucht, er hat mich gefunden“, sagt sie lachend –, war ihr sofort klar, dass hier auch Lesungen stattfinden mussten. In erster Linie wollte sie mit Wein handeln, das hatte sie schon von ihrer Garage in Garching aus gemacht, aber diese Räume, der kleinere unten, der größere oben, schienen ihr ideal für beides. Das war vor dreizehn Jahren. La Cantina nannte sie ihre Bar, in der sie Weine und Spezialitäten aus Italien anbietet. Dazu kamen Antiquitäten, Accessoires, Schmuck. „Es hat sich so entwickelt, ich war machtlos.“ In der Tat sieht es fast so aus, als könne Markus nur schwer Nein sagen, wenn ihr wieder ein hübsches Möbel- oder Schmuckstück angeboten wird. Sie nimmt sie in Kommission, findet ein Plätzchen in ihrem sowieso schon voll gestellten Raum und hält, trotz aller Enge, ein Tischchen und zwei Stühle frei, an den sich der Besucher setzen und je nach Tageszeit einen Espresso oder einen Aperitiv trinken kann. Einen Stock höher finden die Lesungen statt, der Raum ein „Sälchen“, auch hier Antiquitäten die Menge, man sitzt auf Stühlen mit Stil. Hat man den Abend bequem darauf zugebracht, kann das Sitzmöbel möglicherweise käuflich erworben werden.

Dass man sich hier ein bisschen wie in einer Theaterinszenierung fühlt kommt nicht von ungefähr. Die gebürtige Münchnerin war Schauspielerin, hatte Engagements in Aachen, Bremen und anderswo, war, wie sie von sich sagt, vielseitig einsetzbar, hörte aber auf, als sie heiratete und drei Söhne bekam. Die Verbindungen blieben, und so sind es hauptsächlich Schauspieler, die bei ihr lesen. „Lesungen sind in den letzten zehn Jahren sehr beliebt geworden, haben sich etabliert“, sagt Markus. „ Für mich ist eine gute Lesung wie ein Schauspiel, da kann mit wenigen Mitteln ein unterhaltsamer Abend gestaltet werden.“ Sich von der Stimme des Sprechers durch ein Buch führen zu lassen, es auf diese Weise ganz anders, eindrücklicher wahrzunehmen, das passiere zum Beispiel, wenn Martin Pfisterer Thomas Bernhard vorliest. Dessen Texte fordern geradezu das laute Lesen, werden deutlicher, gewinnen an Klarheit und Intensität. Pfisterer, der sich sozusagen auf Bernhard spezialisiert hat, liest in La Cantina drei- bis viermal im Jahr und ist immer gut besucht. Auch Franziska Bronnen ist dort häufiger Gast. Sie schöpfe aus einem umfangreichen literarischen Reservoir, trägt Stefan Zweig vor, Joseph Roth, um einige zu nennen.

Ins Programm nimmt Barbara Markus auf, was sie und die Sprecher selber gern lesen. Literatur muss es sein, die über Sprache und Inhalt etwas transportiert und Emotionen weckt, Erzählungen, Romanausschnitte, Briefwechsel, Gedichte, Aufsätze, Biographien. So kommt ein vergnügliches Gemisch zustande, im September etwa liest Wolfgang Stoephasius aus seinen Reisebeschreibungen, interpretieren Veronika Faber und Henner Quest die schönsten Balladen, singt Susanne von Medvey Chansons von Hildegard Knef, begleitet von Friedrich Rauchbauer am Klavier. Denn auch Auftritte dieser Art haben sich in La Cantina etabliert. Rauchbauer und AbsolventInnen der Theaterakademie August Everding, an der er Dozent für Liedinterpretation ist, begannen mit Chansons aus den 30er Jahren, nun sind Liederabende der unterschiedlichsten Couleur zur schönen Gewohnheit geworden.

50 Besucher finden Platz im „Sälchen“, Menschen ab Mitte Vierzig, die mit einem Glas Wein in der Hand ihrer Lieblingslektüre lauschen und sich nur ungern auf Neues einlassen. In La Cantina gehen sie auf Nummer Sicher, Barbara Markus kennt ihr Publikum. Neulich allerdings, als sie zusammen mit dem Blindeninstitut einen Abend veranstaltete – André Müller und seine „Kunst des Interviews“ stand auf dem Programm –, musste sie doch etwas schlucken angesichts einer besonderen Zuhörerschar, Blinde und ihre Hunde. Es wurde eine vor hingebungsvollem Lauschen vibrierende Vorstellung.

Katrina Behrend Lesch

P.S. In unserer Serie „Münchens literarische Orte“ sind bisher erschienen:
„Keimzelle des Poetry Slam“ – Der Club Substanz (Juni 2016) und
„Parnass im 4. Stock“ – Die Autoren Galerie 1 (Juli 2016).