Der Lyriker Anton G. Leitner und sein erstes großes Mundartprojekt

Der magische Reiz dieses Gedichtes besteht darin, dass man es nicht lesen kann. Weder ist die hochdeutsche Version, in der innere und äußere Gegenstände mit der allzu scharfsichtigen Nickelbrille eines altbairischen Prosaschriftstellers paraphrasiert werden, rühmenswert, noch auch die bairische, weil deren Effekte ab und an zu transparent sind: aber die Transkription vom einen ins andere, die Art, wie der Autor mit seiner Zweisprachigkeit umgeht, verdient fürwahr ein lyrisches Tun genannt zu werden. Wenn etwa der Blumenheros der altgriechischen Mythologie, Adonis, im Bairischen als junger Hupfer erscheint, wird nicht nur daran erinnert, dass ihn der Kriegsgott Ares, in ein Wildschwein verwandelt, über die Hauer springen ließ; es wird aber auch die Gegenrichtung eingeschlagen: der junge Hupfer ist aufgrund seiner Beweglichkeit möglicherweise schöner, als er bei stehender Betrachtung wäre, und so wird eine Bewegung in zwei Richtungen erzeugt, die in sich wunderbar ist. Gezeigt wird, dass im bairischen Kulturgebiet das bildungsbürgerliche und das volksmäßige Element so weit auseinandertreten, dass es der Wiedervereinigung durch die Poesie bedarf. Die Angleichung des Sprechers an seinen jeweiligen Adressaten. Die Art, wie er in der einen und in der anderen seiner beiden Hauptsprachen beheimatet ist: entlarvt beides auf ungewohnte Art. Ungewohnt auch der Inhalt: weil das lyrische Ich nicht weiß, wie es ein im Liebesakt ölverschmiertes Tuch reinigen soll, fühlt es sich zunächst in den Alltag hinabgezogen; dieses unzukömmliche Hinabgezogenwerden bringt es auf die famose Idee, das Tuch bei einem Notar zu hinterlegen, weil es späterhin als Totenkleid dienen soll. „Der Herr Notar Dr. Krambichler“ ist der, mit dem hochdeutsch, der Bestattungsunternehmer „Schbaadnmichi“ derjenige, mit dem bairisch gesprochen wird. Was ich für weniger gut halte, ist etwa der Ausdruck in der vierten Strophe „noch dera Nacht de se wiaggli gwaschn ghabd hat.“ Warum „wirklich“? Ein solch herber Schlag auf die eigene Schulter wäre vielleicht gerade noch am Schluss des Gedichtes gut aufgehoben.

Hans-Karl Fischer

Der Leitner Anton G., um im Bayerischen zu bleiben, wirft seit über 20 Jahren einmal jährlich „Das Gedicht“ im eigenen Verlag auf den Markt, gemischte Lyrik in Buchstärke, bei der er mit seinen wechselnden Mit-Herausgebern zusammen entscheidet, ob es „swingt“ und „klingt“, ohne Rücksicht auf Namen und Prominenz der Einsender. Als wäre es „ganz nebenbei“, hat er seit 1986 auch noch elf Bände mit eigenen Gedichten publiziert, die zum größten Teil humoristische Titel tragen, wie „Der digitale Hai ist high“. Daneben werkelt er immer wieder an Anthologien bei dtv/Hanser oder Reclam. Und während die feineren Poeten ihn als „Realdichter“ eher links liegen lassen, was ihn aber kaum juckt, beginnen jetzt schön langsam die Preise auf ihn einzuprasseln, wie etwa der „Tassilo Kulturpreis“ der SZ in diesem Jahr oder der Bayerische Poetentaler 2015. Wenn er, der jetzt 55 wurde, beteuert, dass ein gutes Gedicht seinen Tag rettet, glaubt man ihm das sofort, denn er wuselt ständig herum mit Notizblock und Smartphone bewaffnet, notiert und fotografiert alles, was irgendwie zum Vers gerinnen könnte. Urlaub gönnt er sich seit 24 Jahren höchstens mal auf Rügen zusammen mit seiner Frau, einer Ärztin. Das Geld reicht grad für den Verlag, und der 12-Stunden-Arbeitstag als Verleger und Herausgeber lässt ihm kaum Zeit, mal in den Weßlinger See vor seiner Haustür zu springen oder in der Münchner „Unterfahrt“ vorbeizuschauen, um seinen geliebten Jazz zu genießen. Dabei hätte er sich als Volljurist ja schon 1993 durchaus auf einem gesicherten Richterstuhl niederlassen können, wie sein Kollege, der Rosendorfer Herbert, den er gut kannte – aber dann hätte ihm die wahre und notwendige Nahrung gefehlt, das tägliche, swingende Gedicht.

W.H.

Anton G. Leitner „Schnablgwax Bairisches Verskabarett“
(Oberbairisch und Hochdeutsch. Übertragen vom Autor), edition DAS GEDICHT und edition lichtung, 2016
184 Seiten, 15.90 Euro