Die fast vergessene Autorin Mechtilde Lichnowsky 

Von Katrin Diehl

Manche Briefpapierseiten haben etwas von Schmetterlingsflügeln. Seidig, leicht, verletzlich, so dass man sie nur mit Fingerspitzen berühren möchte. Sie nahmen den Weg übers Meer. Manchmal kommt das Papier auch grob und handfest daher, hat eine Reise auf dem beschwerlichen Landweg hinter sich. Doch immer findet sich ein feiner Briefkopf am linken oberen Rand, der von einem schon wieder neuen Domizil, einer edlen Adresse kündet. Darunter eine mehr oder weniger leserliche, verschwenderische, schwungvolle wie impulsive Handschrift. Mechtilde Lichnowsky geht frei um mit ihren Gedanken, hält nicht hinterm Berg („Was sie über mich schrieb war so schleimig“), hat ein dem Leben wie der Sprache zugewandtes Selbstbewusstsein. Dass sie sich immer schnell mit dem neuen, nächsten Ort arrangierte, hatte wohl mit ihrer Herkunft, der damit verbundenen Weltläufigkeit zu tun, auch mit ihren zwei Ehen. Dennoch, gestorben ist Lichnowsky 1958 ziemlich vergessen und in äußerst bescheidenen Verhältnissen in London.

Begonnen hatte das Leben anders. Behäbig. Groß. Im Schloss Schönburg  im niederbayerischen Rottal. Von vielen Kindern, die noch folgen würden, war sie das Dritte. Man schrieb das Jahr 1879 und sie hatte den Namen Mechtilde Christiane Marie Gräfin von und zu Arco-Zinneberg zu tragen. Lichnowskys Biografie verdient eine differenzierte, kleingliedrige Darstellung, denn sie ist schwer zu fassen mit ihren überraschenden Wendungen, mit den Freiräumen, die sich die Dame, übrigens auch als Frauenrechtlerin unterwegs, sehr bewusst geschaffen hat. Sie füllte sie mit Zeichnungen, Kompositionen, vor allem aber mit literarischen Arbeiten – an die 20 Bücher, unzählige  feuilletonistische Texte –, Entrée-Billets zu Literatenkreisen und in die Bohème. Das alles lässt sich auf entsprechenden Internetseiten erkunden. Hier in aller sträflichen Kürze: 1904 erste Heirat mit einem um einiges älteren Diplomaten (Karl Max Fürst von Lichnowsky). Drei Kinder. Zweite Ehe 1937 – weniger standesgemäß – mit dem britischen Major Ralph Harding Peto. Wo sich Mechtilde Lichnowsky niederlässt, nimmt sie Verbindung auf mit Künstlern, verarbeitet ihre Eindrücke literarisch. Erwähnenswert „Der Stimmer“ von 1917 – eine kunstvoll komponierte Liebesnovelle –, „Kampf mit dem Fachmann“ von 1924 – eine Satire über die Trägheit des Denkens – und „Worte und Wörter“ von 1939, ein sprachanalytischer Text, in dem Lichnowsky u. a. Hitlers Äußerungen unter die Lupe genommen hat, mit ihnen scharf ins Gericht gegangen ist. Erschienen ist der Titel erst 1949.

Da sich Lichnowsky geweigert hat in die Reichsschriftumskammer einzutreten, wurden ihre Werke verboten. Als sie 1939 – jetzt bereits als britische Staatsbürgerin – Deutschland einen Besuch abstattet, wird sie unter Polizeiaufsicht gestellt.

Lichnowsky ist gut befreundet mit Kraus, Reinhardt, Keyserling, von Hofmannsthal. Aus ihrer Münchner Zeit stammen ihre Kontakte mit Franz Wedekind, Carl Sternheim, Anette Kolb.

Der Hauptnachlass Lichnowskys liegt im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Aber auch in der Münchner Monacensia lässt sich das unstete Leben der hochaufgeschossenen Dame mit dem aristokratischen, länglichen Gesicht, in dem manchmal eine Pfeife steckte, in über 80 Briefen nachempfinden.

„Du kannst dir denken …, dass ich meine heilige, angebetete freie Zeit nicht zu einem Brief an Dich verwenden würde, aus dem alleinigen Bedürfnis, einige Phrasen loszulassen. Also horch!“, beginnt sie ihr Schreiben vom 19. April 1913 an die „Liebe Annette“ Kolb. Literarisches wird besprochen, eine Einladung nach London folgt ins „einzige Fremdenzimmer“ oder gleich in die „Botschaft“. Einige Briefe – häufig mangelt es ihnen an Kommata, dafür schmücken witzige Zeichnungen die Blätter –, tragen den Absender von des Gatten Schloss „Kuchelna“ in der damaligen Tschechoslowakei. Lichnowsky lässt in ihre Briefe flotte Sprüche einfließen auf Englisch oder Französisch, verteidigt gegenüber Kolleginnen und Kollegen die „gemachte“ Literatur im Vergleich zu der, „die einfach so“ herauskommt, „etwa so wie Ka-Ka vom Kanarienvogel“. Hermann Kesten unterrichtet sie im Dezember 1952 kurz und bündig, „Ich stehe inmitten eines Umzugs und kann nur Postkarten schreiben“. Ein neuer Absender ist also demnächst zu erwarten, und damit auch ein neues Briefpapier.