Dana von Suffrins warmherzig-kluger Debütroman „Otto“

von Slávka Rude-Porubská

Nein, Otto, der fast 80-jährige pensionierte Ingenieur aus dem ersten Roman der Münchner Autorin Dana von Suffrin hat keinen Mops. Dafür aber gab es in Ottos Familie einen Bobtail und einen Terrier, den sich damals die Kinder ertrotzt haben. Doch jetzt trotzt der auf der Intensivstation liegende Otto; er motzt und grollt und fordert den beiden inzwischen erwachsenen Töchtern Babi und Timna mit seiner seltsamen Fähigkeit, „von einer Sekunde auf die nächste todkrank zu werden“, alles ab – Aufmerksamkeit und Zuwendung, Anwesenheit und Zeit. Und außerdem ungeteiltes Interesse an seinen mit Erfindungen und Halblügen durchsetzten Lebenserinnerungen. „Meine Familie, meine Länder und meine Abenteuer!“, das soll der Nachwelt in einem Buch überliefert werden, „bitte lasst unsere schöne Familiengeschichte nicht gelangen in Vergessenheit!“

Allein die geopolitischen Eckdaten dieser verzweigten Familiengeschichte, die Suffrin aus der Ich-Perspektive von Ottos Lieblingstochter Timna wiedergibt, sind schon Romanstoff genug. Aus einem Schtetl in Galizien schaffen es seine Vorfahren über Wien nach Kronstadt, wo Otto zur Welt kommt. Die Industriellenvilla der Familie überlebt den Krieg, jedoch nicht den rumänischen Kommunism, sodass es weiter nach Israel geht. Aus Haifa macht sich dann Otto nach dem Maschinenbaustudium und Wehrdienst ausgerechnet nach Deutschland auf,  in das Land des Scheißantisemitism, in dem sogar die Ampeln automatisch „auf Rot schalten, wenn ein Jude in einem billigen Auto kommt.“ In München wird er als Experte für Kunststoffe zum Professor mit Penthouse im Olympischen Dorf, der sich später ein Reihenhaus in Trudering bauen lässt. Hier ist der Ostjude aus Siebenbürgen in der globalisierten Gegenwart angekommen. Er trägt eine in China produzierte Kippa sowie eine bei Lidl gekaufte Winterjacke und wird im Rentenalter von Valli aus Ungarn gepflegt, die er anerkennend „Schuftetier“ nennt und gelegentlich zum Italiener einlädt – zu dem billigsten in der Gegend, versteht sich.

Ottos Besessenheit von Geschichten und jüdischen Riten läuft jedoch bei Babi und Timna ins Leere. Statt Pessach wird mittlerweile „Demenzach“ gefeiert, denn weder der vergreisende Vater noch die mit ihren Beziehungen und prekären Jobs beschäftigten Töchter finden in der Haggada die richtigen Textstellen. Statt misubin wird Mister Bean aufgesagt und insgesamt haben die Schwestern „nur dank des Eurovision Song Contest eine Vorstellung“ davon, wo im Osten Europas die ehemaligen jüdischen Gebiete liegen. Suffrins Situations- und Wortkomik sowie der lakonische Sprachwitz stehen ganz im Geiste der jiddischen Erzähltradition. Die mit schwarzem Humor gefärbten Szenen konzipiert sie als Kippstellen, an denen das Skurrile aus dem Familienalltag mit dem Tragischen der jüdischen Geschichte verzahnt wird – etwa im Bild des kunstledernen, mit wichtigen Dokumenten vollgestopften Tascherls, das Otto stets am Handgelenk trägt, als reine „Vorsichtsmaßnahme, falls wir deportiert werden sollten.“

Dem „Knäuel, das Familie heißt“ und das unentwegt einen „Klumpen Geschichten“ produziert, lässt sich nicht entkommen, soviel wird der zur Familienchronistin ernannten Timna beim Zuhören von Ottos Erzählungen klar. Beim Lesen kann und möchte man dem Sog dieses auf mitreißende Art erzählten Debüts über den Zusammenhalt und das Loslassen in Ottos jüdischer Familie gar nicht entkommen.

Dana von Suffrin
Otto
Roman, gebunden, 240 Seiten
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
20,00 Euro