Im Waschsalon der Lyrikfront

Lesen in der Milchstraße, in einem „Büro“ der Literatur? Für mich als Jungautor vom Land in den Achtzigern ein kleines Abenteuer, so groß wie etwa im Kindergarten eine Halbe H-Milch auf Ex trinken. Zugegeben, auch mir schlug das Herz geschwind beim ersten Mal: Mehr kleiner Laden als Büro, angelaufene Schaufensterscheiben. Dahinter ein gutes Dutzend Diskutanten, viel Bärte und strubbeliges Haar, Bierflaschen schwenkend und Mienen, ernster als bierernst, wild gestikulierend, halb verschlafen, halb verschult. Auf dem improvisierten Schafott: ein junges Ding wird abgefragt. So schön und blond und zart im Mini mit viel Herz und Schmerz auf dem Papier. So hart verbal beharkt, mit nackter Angst im Ton, so ungeschützt, zerbrechlich – ausgesetzt dem ganzen Spott von jedem x-beliebigen Lyriklehrergott.

Doktor P. z. B. steckt noch in Cord-Pantoffeln, Unpromovierte in ihren Birkenstocks. Und aus Sockenlöchern spitzen scharfe Zehennägel. Die Helden laden ihre Waschtrommeln, packen die Anfängerin am Schopf und waschen ihr den Kopf. So lange Schleudergang, bis ihr alle Tränen ausgepresst sind und die Stimme den Dienst quittiert im Waschsalon der Lyrikfront. Ganz aufgelöst ist sie auf und davon, und ich wär’ ihr am liebsten nach. Aber bin, wie sich’s für einen braven Jung-AuTor gehört, solange sitzengeblieben bis ich endlich selbst dran war. Auf geht’s beim Schichtl! Vorwaschgang! Mir ist die Muffe ordentlich gegangen. Aber weil ich mich beim Lesen die ganze Zeit still gefragt hab, ob man die Milchstraße besser mit Hausschuhen oder mit Schuhsocken betreten sollte, ist mein Kopf oben geblieben. Deshalb bin ich in Jesuslatschen wieder gekommen: zur Klarspülung.
Anton G. Leitner