Übersetzen ist wie Musizieren
Burkhart Kroeber, die deutsche literarische Stimme von Umberto Eco und Italo Calvino

Einen Riesenerfolg auf dem Büchermarkt zu landen, davon träumt jeder Verlag. Dass es ein 600-Seiten-Roman werden würde, der in einem mittelalterlichen Kloster spielt und der vordergründigen Handlung um ein paar handfeste Morde die gelehrten Auseinandersetzungen um den Armutsstreit zwischen Papsttum und Bettelorden beimischt, war so nicht vorhersehbar. Doch als Burkhart Kroeber das Debütwerk des Semiotikprofessors Umberto Eco noch als unkorrigiertes Fahnenexemplar in die Hände bekam, wusste er: „Das Buch will ich machen. Es hat mich gereizt, wegen der Vielfältigkeit der Themen und der Weltklugheit, die drinsteckt.“ Inzwischen ist Der Name der Rose weltweit millionenfach erschienen und er als Übersetzer italienischer Literatur eine Kapazität.

Mit Eco hat also alles angefangen, doch nur weil Kroeber „eine unbezähmbare Lust, ein fast sinnliches Verlangen danach“ verspürte, traute er sich an die Übersetzung. Denn seine Voraussetzungen waren nicht die günstigsten. Bis dahin hatte er nur Sachbücher aus dem Französischen, Englischen und Italienischen übersetzt und keine Erfahrung mit einem narrativen Text. „Da der Roman aber gesättigt ist mit historischem, philosophischem, denkerischem Material, wusste ich dank meiner Erfahrung mit Sachbuchtexten, wie man recherchiert. Und einmal den Ton gefunden, floss die Übersetzung so dahin, da die Sprache relativ homogen ist – der Erzähler ist ja ein greiser Benediktinermönch, der sich eine dramatische Woche aus seiner Jugendzeit in Erinnerung ruft.“ Auch Kroebers Leben wurde durch Eco verändert. Als Sachbuchlektor im Hanser-Verlag hatte er einen sehr begehrten Posten inne und nach seinem Studium der Ägyptologie und Romanistik die Jahre als „unabhängiger Literaturarbeiter“ eigentlich hinter sich. Nun setzte er alles auf eine Karte und wurde wieder freier Übersetzer.

Das war 1982. Seitdem hat er zwei Dutzend weiterer Bücher von Eco übersetzt, neben den fünf anderen Romanen auch Essays, Reportagen, Glossen, Parodien und Travestien, und war in diesen 32 Jahren mit dem geistigen Weg seines Autors so gut wie nie uneins. „Eco vertritt ja Meinungen, und denen konnte ich politisch folgen. Hätte er plötzlich einen rechtskonservativen oder irgendwie fundamentalistischen Weg eingeschlagen, wie es ja bei anderen Intellektuellen vorkommt, hätte ich den nicht mitgehen können. Man muss das Buch, das man übersetzt, auch mögen, sonst gibt man sich nicht die nötige Mühe. Das ist wie bei einem Musiker, der eine Sonate interpretiert. Er muss ein Gefühl dafür entwickeln, sonst wird das nichts.“ Sich vorher eingehend mit dem Autor zu befassen, seinem Leben, seinen Vorlieben, Abneigungen, Lektüren, ist für Kroeber hilfreich, aber keine Bedingung. „Eco setzt sich sehr gerne mit seinen Übersetzern auseinander bzw. zusammen. Doch es gibt gar nicht wenige Autoren, die niemanden an sich ranlassen, mit denen man nur über ihre Agenten kommunizieren kann. Und was Zitate oder Metaphern etc. anbelangt, da überlässt Eco es seinen Übersetzern, neue Bilder zu erfinden. Er will geradezu, dass etwas Neues kreiert wird.“

Neben Eco ist Kroebers Lieblingsautor Italo Calvino. „Der ist makellos, nicht wortreich, nicht geschwätzig, alles ist von einer kristallinen Klarheit. Da stimmt der Rhythmus, die Tonlage, die Klangfarbe, jedes Komma steht am richtigen Platz und hat seine Bedeutung. Calvinos Texte sind phantasievoll, nicht vorhersehbar, nie könnte man sagen, das kenne ich jetzt. Und er lässt seine Figuren für sich sprechen – am liebsten wäre es ihm gewesen, als Autor ganz zu verschwinden.“ Weil Calvino jeden Satz, jede Wortstellung sehr genau bedacht habe, sei es schwer, ihn adäquat zu übertragen. Wenn man das nicht berücksichtige, lese sich der Text holprig. Man müsse ihn musikalisch übersetzen, der Ton sei mindestens so wichtig wie der Inhalt. „Ist der Text für den deutschen Leser genauso verstehbar wie für den italienischen, dann habe ich es richtig gemacht. Man nennt das im Fachjargon Wirkungsäquivalenz, die Übersetzung soll die gleiche Wirkung erzielen wie das Original.“ Diese „Originaltreue“ brachte Kroeber neben vielen anderen Auszeichnungen 2011 den renommierten Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreis ein, und zwar genau für ein Buch von Calvino. Auch bei seiner Neuübersetzung von Alessandro Manzonis Roman I promessi sposi – von Kroeber entgegen dem bisher üblichen Titel Die Verlobten weit passender mit Die Brautleute übertragen – war es sein Ziel, ja sein Ehrgeiz, jeden Satz möglichst genau dem Original nachzubilden. So ließ er vor allem Manzonis lange Satzperioden bestehen, die er einem an Kleist und Thomas Mann geschulten deutschen Publikum durchaus zumutbar fand. Desgleichen wollte er Manzonis unterschwellige bittere Ironie herausarbeiten. Und das ist ihm offensichtlich gelungen, die Kritiken sprechen von einer glänzenden Neu-übersetzung, hart und witzig, dort wo es angebracht ist.

Kroebers offensiv vorgetragene These, dass Übersetzer Zweitautoren sind bzw. Übersetzungen zwei Autoren haben, versteht sich als Beitrag zum Kampf gegen das Schattendasein der meisten seiner Kollegen. „Es ist ein langer Kampf um Gleichberechtigung, aber langsam wird’s besser. Eigentlich gibt es eine ganz einfache Lösung, um das leidige finanzielle Problem zu lösen. Wie einst auf jedes Kilowatt Strom ein sogenannter Kohlepfennig erhoben wurde, sollte jedes übersetzte Buch mit einem kleinen Aufpreis belegt werden. Als ich das vor gut zehn Jahren in einem Artikel für die FAZ schrieb, dachte ich, dass es zu einem Aufschrei der Verlage kommen würde. Aber die haben mich einfach totgeschwiegen.“
Katrina Behrend Lesch