Das 9. Literaturfest München vom 14. November bis zum 2. Dezember will nationalistischen Dünkel überwinden und das Miteinander betonen. Mehr als 80 Autorinnen und Autoren stellen sich vor.

Von Ursula Sautmann

Babel, das bedeutet Vielfalt und Überfluss. Babel oder Babylon hat profitiert vom sprichwörtlichen Sprachgewirr, war ‚Tor‘ zur Welt und zweimal in seiner bewegten Geschichte die größte Stadt überhaupt. Doch Babel steht auch für bedrohliche Verwirrung. Wo viele Sprachen gesprochen werden, kann es zu Verständigungsproblemen kommen. Den Organisatoren des Literaturfests geht es um das „schöne Babel“, das Konzert aus Literaturen internationaler Provenienz. Tanja Graf, Geschäftsführerin des Literaturfests und Leiterin des Literaturhauses, betont: „Europa brennt uns auf den Nägeln, die Weichen für die Zukunft unseres Kontinents werden jetzt gestellt.“ Es gilt, die sprachliche Vielfalt zu feiern.

Das Fest lockt mit Vertrautem. Da gibt es zunächst – zum 59. Mal – die Münchner Bücherschau im Gasteig mit mehr als 20.000 Neuerscheinungen. Das Begleitprogramm ist gleichzeitig Wegweiser. „Vorlesen, Anschauen, Mitmachen“ ist die Devise beim Angebot für Kinder und Jugendliche. „Alle Kinder müssen lesen lernen“, das ist das erklärte Ziel der Organisatoren, die aufmerksam machen auf eine Umfrage aus dem Jahr 2016. Ein Fünftel der Zehnjährigen, so das Ergebnis, könne nicht richtig lesen. Das Literarische Jugendquartett, von Jugendlichen für Jugendliche, könnte ein Schritt in eine lesefreudigere Zukunft sein (2. Dezember um 16.30 Uhr im Gasteig).

Zu den vertrauten und geschätzten Bausteinen des Literaturfests gehört neben der Bücherschau das Festprogramm des Literaturhauses, das den Neuerscheinungen des Herbsts gewidmet ist. Martin Walser, Maxim Biller, Nino Haratischwili und María Cecilia Barbetta stellen ihre Werke vor. Gesellschaftspolitischen Bezug haben eine Diskussion mit Liao Yiwu (Friedenspreisträger) und Kai Strittmatter (China-Korrespondent der SZ) über die Zukunft der Demokratie in China (27. November um 20 Uhr im Literaturhaus) wie auch eine Veranstaltung mit Annette Ramelsberger und Rainer Stadler über den NSU-Prozess (21. November um 20 Uhr im Literaturhaus). Der Basar „Andere Bücher braucht das Land“ (1. und 2. Dezember im Literaturhaus) gibt ergänzend Anregungen abseits des Mainstreams.

Altbekannt und doch immer wieder neu ist das forum:autoren im Rahmen des Literaturfests. Mit Jan Wagner hat die Festleitung einen Kurator gewählt, der sich der Lyrik verschrieben und damit beim lesenden Publikum Erfolg hat. 2015 erhielt er für seinen Gedichtband „Regentonnenvariationen“ den Preis der Leipziger Buchmesse (erstmals wurde ein Lyriker ausgezeichnet) und 2017 den Georg-Büchner-Preis. „Schönes Babel. Europäische Literaturen“ – das Motto ist sein Programm. Der Reichtum der europäischen Gemeinschaft, so die Überzeugung, wird sichtbar durch das Mit-, nicht das Gegeneinander. Erstmals gibt es europäische Lyriknächte mit begleitendem Musikprogramm, gleich drei an der Zahl (15., 21. und 23. November, im Marstall, im Lyrik Kabinett und im Volkstheater). Der Brexit ist Thema bei den jeweils zweiteiligen Veranstaltungen „Die schönen Inseln“ (17. und 18. November im Literaturhaus, jeweils 16 und 20 Uhr). Wagner bedauert, dass „der Ärmelkanal ein bisschen breiter wird“ und fragt, ob es möglich sei, dass keiner als Verlierer dasteht. Zum täglichen Ausklang treffen sich Interessierte in der „Stählemühle Schnapsbar“ im Luitpoldblock. In 30-minütigen „Séancen mit Substanzen“ werden hier große, unsterbliche literarische Geister herbeigerufen.

Preisverleihungen sind inzwischen ein fester Programmpunkt beim Literaturfest. Götz Aly erhält für sein Buch „Europa gegen die Juden. 1880 – 1945“ den Geschwister-Scholl-Preis. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird zum 39. Mal vergeben. Aly, heißt es in der Begründung der Jury, lenke die Aufmerksamkeit auf den Neid gegen die als besonders tüchtig wahrgenommenen Juden als eine der Ursachen dafür, dass Vorurteile in Völkermord kulminierten. Dieser Neid sei mit Werten verknüpft, die heute noch hochgehalten werden. In der aktuellen Debatte über die Flüchtlingspolitik werde ein weiteres Mal ein Widerstreit zwischen humanitären Imperativen und sozialstaatlichen Besitzständen beschworen. Der Preis für den Bayerischen Kleinverlag, der zehnte seiner Art, geht diesmal an den Ambacher Verlag „Büro Wilhelm“. Seit 2002 bereichert der Verlag den Buchhandel mit außergewöhnlichen Werken aus den Bereichen Architektur, Kunst, Fotografie und Literatur. Die 140 Bücher des Programms fallen durch ihre herausragende Gestaltung auf. Der Band über „Stille Örtchen in der Oberpfalz“ dürfte dem einen oder anderen ganz eigene Ein-Sichten vermitteln. Am 24. November schließlich wird der Fernsehpreis LiteraVision der Stadt München vergeben, im Anschluss an eine zweitägige öffentliche Jurysitzung mit beispielhaften Sendungen über Bücher und Autorinnen und Autoren.

Das Gesamtprogramm ist einzusehen unter www.literaturfest-muenchen.de.