Von Katrin Diehl

Werner Herzog hat einmal, und das ließ dann schon staunen, gesagt, dass er fest davon ausgehe, dass es nicht seine Filme sein würden, die von ihm blieben, sondern seine Bücher. Mal sehen. Können tut er beides: schreiben und Filme drehen. Seit Jahrzehnten – der 1942 in München Geborene (aufgewachsen ist er dann auf dem Land) kommt ja noch aus der Zeit des „jungen deutschen Films“ – liefert er zuverlässig und stetig Qualitätsarbeit mit sehr eigener, wiedererkennbarer Handschrift.  Wo Herzog drauf steht, ist Herzog drin, und so könnte es ewig weitergehen. Zumal man ihn mittlerweile immer mitdenkt hinter seinen Filmen, aber auch hinter seinen Büchern, mit denen er allerdings wesentlich sparsamer in Erscheinung tritt.

Auf den bemerkenswerten Auftakt „Vom Gehen im Eis“ (2009) folgte 2004 „Die Eroberung des Nutzlosen“, und jetzt musste man 17 Jahre warten bis zum neuen Titel „Das Dämmern der Welt“. Und wieder hört man beim Lesen Herzogs unprätentiöse, gleichschwingende Stimme mit, sieht seine in sich ruhende, ein wenig gebeugte Gestalt, sein uriges Gesicht. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass er immer mal wieder auftaucht in seinen Dokumentarfilmen, zumindest als Stimme, die das Gezeigte begleitet. Und wer kennt sie nicht, die „Filmschnipsel“, die den Dreh zum Wahnsinnsstreifen „Fitzcarraldo“ festgehalten haben mit Blick auch auf den erstaunten, irritierten Werner Herzog. Fitzcarraldo hier, Onoda Hirō da. Im Grunde sind sie eins, Herzogs Filme und Bücher. Sie hängen sich an extreme Menschen an, die es ja gibt, die ein Schiff über den Berg ziehen oder nicht ans Kriegsende glauben. Diese Art von Menschen geben Herzog das, was er braucht, um tätig zu werden, füttern seinen Glauben an eine Welt, die auch auf Ver-rückte eingestellt wie vorbereitet ist.

Die Geschichte von Onoda ist hinlänglich bekannt, diesem japanischen Nachrichtenoffizier, der das Ende des Zweiten Weltkriegs verpasst hat. Bis ins Jahr 1974 verharrte der Mann als treudienender Soldat der kaiserlichen japanischen Armee auf der philippinischen Insel Lubang, verteidigte sie als Guerillakämpfer gegen die Amerikaner, als die längst abgezogen und bereits mit neuen kriegerischen Projekten beschäftigt waren. Onoda war ein Unbelehrbarer, einer, dessen Misstrauen Realitäten in ihr Gegenteil verkehrte, der Flugblätter, die das Kriegsende verkündeten, als Fährte las, der viel tötete und den erst die Kapitulationserklärung seines um Jahre gealterten und extra eingeflogenen Kommandanten vom Ende der Schlacht überzeugen kann. Angesichts so viel an Skurrilität muss Literatur kapitulieren, muss, ein wenig zornig wie neidisch, verstummen. Und so gibt sich „Das Dämmern der Welt“ zunächst auch zögerlich, protokolliert tagebuchartig und in Herzogs spröder Sprache einfach, was war. Bis Ungewissheiten Platz für Vorstellungen, für Imaginationen machen. Wir lernen, wie Onoda denkt. Und wir lernen, um was es bei dieser wie bei allen Robinson-Geschichten immer geht: darum, dass – bei der Vereinzelung eines Menschen – Zeit einer Komponente verlustig wird. Es geht kaum noch voran. Aber Werner Herzog bleibt dran am Geschehen, macht mit bei dem, was da im Dschungel geschieht, bei der Verkehrung der Verhältnisse. Kleinste Ereignisse werden groß, Ungeheuerliches bekommt kaum Beachtung. „Viele Details stimmen, viele stimmen nicht“, schreibt Werner Herzog, und auch, , dass er eine Audienz beim japanischen Kaiser abgelehnt habe, um lieber Onoda zu besuchen.

Werner Herzog:
Das Dämmern der Welt
Hanser Verlag, Berlin 2021
19 Euro