Der kleine Blick in die große Welt
Binette Schroeder hat knapp 5000 Bilderbücher zusammengetragen

Als Bilderbuchkünstlerin ist sie international bekannt, als Bilderbuchsammlerin hingegen lange nur den Insidern. Mehr als 4700 Bücher hat sie in über 40 Jahren Sammlertätigkeit zusammengetragen, heute sind sie im ihr gewidmeten Binette-Schroeder-Kabinett in der Internationalen Jugendbibliothek aufgehoben. Selbst für diese Bibliothek ist eine Sammlung, auf der Basis der Illustration etwas Besonderes.

Schon immer fühlte sich Binette Schroe-der von Bildern magisch berührt. Randolph Caldecott war einer von denen, die mit ihren Illustrationen an ihr Herz griffen. Von diesem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebenden britischen Maler und Illustrator besaß sie das Bilderbuch „The Babes in the Wood“, eine ebenso rührende wie grausame Geschichte. Sie erschütterte sie so, dass sie das Buch auf dem Speicher in der hintersten Ecke versteckte, um jedoch immer wieder hinaufzusteigen und sich beim Anschauen vom Schauer des Entzückens und Grauens gleichermaßen erfassen zu lassen. Auf dem Schoß ihres Großvaters, eines bibliophilen Büchersammlers sitzend lernte sie, sich in Bilder zu vertiefen und ihnen das abzugewinnen, was für sie auch heute noch das Bestimmende in ihrer Art des Sammelns ist: „Ist die Illustration großartig, nehme ich das Buch in meine Sammlung auf, da kann der Text noch so schwächlich sein. Ich gehe also sehr subjektiv vor, denn für mich zählt ausschließlich die Qualität der Bilder.“

Binette Schroeder ist keine systematische Sammlerin. Ihr Blick ist immer ein suchender, auf Messen, in Buchhandlungen, in Antiquariaten. Und ihre Auswahltechnik ist immer gleich. Das Titelbild muss sie anziehen. Danach geht alles in Sekundenschnelle. Hält beim Durchblättern die Faszination, ist die Entscheidung gefallen. Schwankt und überlegt sie, ist immer ein Haken dran. Ein Buch, das in diesem Zwiespalt gekauft wurde, kommt meistens nicht in die Sammlung. Es ist hauptsächlich das moderne Bilderbuch, das zeitgenössische, das ihr den Kick gibt. Angefangen hat es in Basel, wo sie die Kunstschule besuchte, mit dem Buch „C’est le bouquet – Das ist der Gipfel“ von Alain de Foll (nomen est omen). Ein verrücktes Bilderbuch in der Op- und Popart-Manier, wie sie Ende der 60er Jahre kurz auch die Kinderbücher eroberte. Es war das goldene Zeitalter, als die Illustrationen noch spannend und aufregend waren, als Binette Schroeder zum ersten Mal die Frankfurter Buchmesse besuchte, als ihr die Augen übergingen. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen, sie trieb sich auf den Ständen der Polen, der Tschechen, der DDR herum. „Von da kam Neues, auf der Ebene war bei denen viel los. Ich wollte sie alle haben, kaufte sie unter der Hand gegen harte D-Mark, schickte bleischwere Bücherpakete nach Hause.“

Neben dem schieren Habenwollen, das wohl jeden Sammler antreibt, steht für Binette Schroeder die nie versiegende Neugier im Vordergrund. „Es geht mir um die Entwicklung einer neuen Ästhetik, um neue Sichtweisen, Visionen, Tendenzen. Und vor allem um neue junge Talente. Ich kann mich sogar für solche begeistern, die ihre Illustrationen gegen den Strich bürsten, die sehr eigen, schräg oder sogar hässlich arbeiten – dafür lebendig und aufregend. Ganz wichtig auch der Ansatz, was rührt das Kind in mir an. Leider gibt es nur wenige highlights, die dieses wunderbare Gefühl spontan in mir entstehen lassen.“
So ist für sie das Bilderbuch der kleine Blick in die große Welt geblieben.
Katrina Behrend Lesch

Binette-Schroeder-Kabinett in der Internationalen Jugendbibliothek, Schloss Blutenburg.
Geöffnet: Mo-Fr 10-16 Uhr, Sa-So 14-17 Uhr, an Feiertagen geschlossen.
Erwachsene 1 EUR, Kinder frei.