Die großen Preise sind vergeben, die aus Stockholm und aus Frankfurt, und der Münchner Ernst-Hoferichter-Preis 2015 schon jetzt an Christoph Süß. Wieder ein Kabarettist, kann man wohlig seufzen, alles bleibt doch beim Alten in dieser hektischen Zeit, und sich beruhigt zurücklehnen, dem Nieselregen durch das Fenster zusehen, den Laubbläsern lauschen, die auf den städtischen Fußwegen toben wie jedes Jahr um diese Zeit. Die Gräber sind bestellt, und du bist froh, wenn du noch nicht auf Mephistos Shortlist stehst. Da lässt sich gut eintauchen in die wirkliche, eigentliche Lesesaison des Jahres, die dunkle nasse Jahreszeit. Doch womit bitte, ohne bitter enttäuscht zu werden?

Mindestens elf Fernsehsendungen von Heinz Sichrovsky (ORF 3) bis Denis Scheck (ARD und SWR), buhlen um uns Leser – aber wollen wir wirklich über 29,95 Euro zahlen für den neuen (Bleeding Edge) Thomas Pinchon oder gar den Wälzer (Breaking News) von Frank Schätzing, der angeblich spannend sein soll und doch nur nach second hand schmeckt?

Die Süddeutsche Zeitung hat sich vor einigen Wochen den Spaß erlaubt, fünf hochgelobten, „wunderbaren“ Reisezielen auf den Zahn zu fühlen. Eine Mückeninsel vor Irland war dabei und altgriechisches Gemäuer an der Costa Brava. Man kennt das ja: Den „großartigen, einmaligen“ Naturpark, für den du mit Kindern 35 Euro Eintritt zahlst und bei sengender Hitze gerade mal einem müde wiederkäuenden Hirschen und anderthalb Wildsäuen begegnest – so ähnlich fühlen wir uns oft nach verlockenden Buchbesprechungen, Preisverleihungsspektakel oder Bestsellergegaukel. Vor allem mit heißer Nadel genähte Zweit-Werke und Drittlinge drohen abzustürzen. Konnte man etwa den ersten Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg, gerade noch als Schelm ertragen, ringt die schnell nachgelegte „Analphabetin“ mühsam um Gags. Oder Schirach, der Berliner Erfolgsanwalt: Konnte er uns in seinem ersten „Verbrechen“ noch verblüffen, fallen Zweit-und Drittling leider deutlich ab, ähnlich bei Schlink, falls uns sein reichlich konstruierter „Vorleser“ je überzeugt hat.

Auch Ildyko von Kürthy steckt mit „flotter Schreibe“ schon länger im Hamsterrad. Nachdem wir bei ihrem ersten Roman vor Jahren unter dem Radar der Geschmackswärter noch durchgetaucht waren und die Paarungsrituale genießen konnten, kam danach immer das Gleiche. Positive Überraschungen gibt es natürlich auch. Wir erinnern uns – jaja – an manche vergnüglich-tiefgründige erste 80 Seiten des guten alten Martin Walser, oder an Donna Tartt, die sich sehr entschleunigt an die Arbeit macht und uns alle zehn Jahre mit gewitzten Dialogen, Einfällen, Spannung belohnt. Auch ein Streifzug durch die Longlist-Leseproben des Deutschen Buchpreises kann spannend sein – man muss ja nicht unbedingt beim Gewinner hängen bleiben .
WH.