Polaroid-Kameras und Polaroid-Filme sind Historie – seit dem Jahr 2008 werden sie nicht mehr hergestellt. Ein aktueller Roman der Münchner Autorin Nina Sahm, 2012 Stipendiatin der Jürgen-Ponto-Stiftung, lässt diese Sofortbildkameras noch einmal aufleben

“Das letzte Polaroid“ heißt ihr 240 Seiten umfassendes Buch, das im Aufbau-Verlag Berlin erschienen ist. Es erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Mädchen bzw. junger Frauen und dem Wunsch, aus dem altvertrauten Leben auszubrechen.

Polaroid-Fotos waren Sofortaufnahmen, ungeschönte, spontane 1-zu 1-Dokumente. So zeigt denn auch das Cover des Sahm-Buches eine Polaroid-Aufnahme mit zwei Mädchen: die eine springt lebensfroh in die Luft, die andere steht zögernd am Rande. Im Grund erzählt dieses Foto die ganze Geschichte des Romans: Anna, die Ich-Erzählerin aus einer sterilen Münchner Arztfamilie stammend, lernt als 14-Jährige am Plattensee die gleichaltrige lebenslustige Budapesterin Kinga und deren unkonventionelle Familie kennen. Eine Freundschaft beginnt, die sich in den folgenden Jahren vor allem in Briefen auslebt. Als Kinga nach einem Verkehrsunfall im Koma liegt, reist Anna nach Budapest und schlüpft in das Leben der mit dem Tode ringenden Freundin.

Soweit die Story. Sie klingt einfach – und sie ist es auch. Anna, einer tumben Torin ähnelnd, erzählt ihre Balaton-Erlebnisse in Hanni- und Nanni-Manier und wirkt als Mittzwanzigerin indolent und oberflächlich. Anstatt Kinga im Krankenhaus zu besuchen, hilft sie in einer Bäckerei aus, lernt ungarisch, taucht peripher in die Umwälzungen durch die Orban-Regierung ein und schläft mit Kingas Freund Tibor. Erzählt wird dies alles lakonisch, auf einer einheitlichen Gefühlsebene. Hauptsatz wird an Hauptsatz gereiht, durch ein „und“ verbunden: Coole Textbausteine, die eine Dynamik, eine Entwicklung des Menschen Anna kaum erkennbar machen.

Vermutlich hat die Autorin Nina Sahm bewusst einen Nicht-Entwicklungsroman schreiben wollen, der von der Sehnsucht nach einem anderen Leben erzählt. Die Protagonistin Anna scheitert, Tibor kehrt nämlich zu der aus dem Koma erwachten Konga zurück. Ob Nina Sahm mit ihrem Debüt-Roman gewinnt, scheint fraglich – eine Erzählung hätte für diese Story auch gereicht. Was bleibt ist ein vergilbtes Polaroid-Foto.
Ina Kuegler

Nina Sahm
Das letzte Polaroid
Roman, 237 Seiten,
Berlin, Aufbau Verlag 2014
17,99 Euro