Wie ein kranker Vogel hast du im Lehnstuhl gekauert. Wie zerzaustes Gefieder dein Haar. Und was ich auch sagte, dein Blick blieb verloren. Wo wir dich abgesetzt haben, bist du geblieben. Stunden, den ganzen Tag. Viel zu oft sind wir an dir vorbeigegangen. Nur selten zogen wir einen Stuhl heran um uns zu dir zu setzen. „Wir haben schließlich noch unser eigenes Leben“ sagten wir. Und was hätten wir reden sollen? Du hast auf deinen uns unbekannten Horizont geschaut. Und so streichelten wir deine Wange und schlichen uns davon. Zu den Malzeiten haben wir dich hochgehoben und an den Tisch gesetzt. Du warst nicht schwer. Ich habe dir die Speichelfäden getrocknet und deine runzelige Puppenhand gehalten, die flatterte wie ein aufgescheuchtes Tier. Den Löffel mit der Suppe habe ich dir an die Lippen geführt so wie du es getan haben magst als unsere Rollen noch nicht vertauscht waren. Früher zog es uns an deine Seite. Wenn einer enttäuscht war von der Welt, fand er Frieden bei dir. Du hast ihm einen Kuchen gebacken, einen Spruch vorgelesen, übers Haar gestrichen. Nun liegst du hier auf deinem Lager wie seit Wochen. Doch deine Stirn ist kalt, kälter als aller Marmor der Welt. Dein Mund lächelt, nun da keine Qual mehr an ihm zerrt. Deine Schultern sind Eis und die Finger strecken sich nicht mehr. Manchmal, wenn dein Stöhnen meine Träume fraß, habe ich es mir vorgestellt. Wie es sein würde. Aber niemand hat mir von dem Frost berichtet. Der nun auf deinen Schläfen liegt und in den Mulden des Schlüsselbeins. Kein aufgeregtes Tier mehr ist deine Hand und unter den Nägeln steigt Bläue auf. Ich streue Rosenblätter auf dein Kissen, auf deine kalte Brust, die nun friedlich ist. Sich nicht mehr hebt und senkt, sich quält. Ich zünde Kerzen an und spiele die Musik vom Meer und den Vögeln und vom Wind über einer Insel. So wie ich sie oft für dich gespielt habe, wenn die Furcht kam. Du hast dagelegen und ich habe deine Wange gestreichelt. Sie war warm. Manchmal hast du heiser meinen Namen gerufen. „Ja. Was ist denn?“ Du hast immer weiter gerufen.

„Sie braucht Hilfe.“ haben sie gesagt. „Einen Arzt. Medizin.“ Aber du hast nichts gebraucht. Nur, dass man dich bettet. Mit Blick in den Garten. Hier, in diesem Haus, in dem du gelebt hast und uns großgezogen. Dass sie dich in Ruhe einatmen lassen und ausatmen. Dass niemand dich nötigt, Nahrung aufzunehmen, wenn dein Körper sie nicht mehr braucht. Die Musik ist zu Ende und ich starte sie erneut. Wenn sie dich geholt haben werden. Morgen. Werde ich sie nie wieder hören wollen. Die Rosenblätter färben deine fahle Haut. Ich werde heute Wache halten. An deiner Seite. So kalt deine Wangen. Kälter als alles, was je war.

Was bleibt: ein verlassener Lehnstuhl, der Geruch einer Wolljacke, ein Rosenkranz, Notizen in zittriger Schrift, die Uhr tickt immer noch.

Was war: Schlaflose Nächte, Tage wie Blei, meine Kraft, die zerfließt, deine flatternde Hand in der meinen.

Und nun: Verwandte von weit her, ein fehlender Schlüssel, das Nachlassverzeichnis, ein leeres Haus.

Und wo bist du jetzt? Manchmal möchte ich es wissen. Wenn der Schlaf nicht kommt, fühle ich dich. Du lächelst. Alles sei gut. Aber ist das wahr? Vielleicht irrst du umher? Findest den Ausgang nicht. Und wir hier pflanzen Frühlingsblumen, bestellen einen Stein. Hell steht er zwischen den anderen, die Patina kommt später. Im Sommer werden wir Rosen setzen, das versprechen wir.
Ursula Dimper