Zwei Münchner AutorInnen auf der Longlist zum  Deutschen Buchpreis

Die Spannung ist raus: Der Deutsche Buchpreis ist an Bodo Kirchhoff vergeben, die Shortlist zum Buchpreis hat an Attraktivität verloren, und die Longlist ist endgültig Vergangenheit. Aus Münchner Sicht lohnt allerdings ein Blick auf diese 20, im September empfohlenen Titel: Zwei von ihnen stammen von AutorInnen aus der Landeshauptstadt, und zwar „München“ von Ernst-Wilhelm Händler und „Die Witwen“ von Dagmar Leupold. Händlers neues Buch heißt im Untertitel „Gesellschaftsroman“ und spießt die Münchner High Society auf. Im Mittelpunkt steht die reiche Erbin und Psychotherapeutin Thaddea mit ihrer Villa in Grünwald und ihrem Stadthaus in Schwabing. Partys, Empfänge, Vernissagen, Mode und Porsches nehmen sperrig, langatmig und freudlos breiten Raum ein. Spaß macht die Lektüre kaum, der Erkenntnisgewinn ist gering.

Mit Vergnügen liest sich dagegen „Die Witwen“ von Dagmar Leupold, ein Roman über vier auf Reisen gehende Fünfzigerinnen. Zusammen mit ihrem Chauffeur machen sich eine Gärtnerin, eine Logopädin, eine Feldenkrais-Lehrerin und eine Winzerin auf zu einer Reise entlang der Mosel und entfliehen damit der Tristesse ihres heimatlichen Weinstädtchens Steinbronn. Hinter sich lassen die Freundinnen auch Banalitäten des Alltags, für die Dagmar Leupold liebevolle, heitere und lebenskluge Sätze wählt. Der plauderige Erzählton bricht ab, als die Reisenden eine Auto-Panne haben. Die vier Frauen erzählen sich – wie am Lagerfeuer – ihre Lebensgeschichten. Es sind Lebensläufe, wie sie typischer nicht sein können für die 60er, 70er oder 80er Jahre der Bundesrepublik. Eine Frau berichtet von einer unerfüllten Liebelei und einer Abtreibung, die andere von der Kindheit und Jugend ohne Vater und gefühlskalter Mutter, wieder eine andere von ihrer gescheiterten Ballett-Karriere und ihrem Körperekel. Lebenswelten werden sichtbar – fernab aller Lebenslangeweile. Tempi passati, denn das Auto fährt wieder, vier Abenteurinnen und ein Abenteurer wollen ans Meer.

Ans Meer, den Aufbruch wagen, sich noch einmal den eigenen Sehnsüchten stellen – all diese Wünsche lässt die Münchner Schriftstellerin aufblitzen. Witwen sind die reiselustigen Damen dabei mitnichten, sie haben, so Leupold, allerdings „verhinderte, gewaltsam abgebrochene Lebensgeschichten“ hinter sich, wollen „Flusskiesel sein, unbeirrt und überströmt“. Penny, die Winzerin und Gastwirtin, könnte noch am ehesten als Witwe durchgehen, schließlich hat sich ihr Mann Otto vor Jahren bei einer Fernostreise abgesetzt und ist nicht wieder nach Steinbronn zurückgekehrt. Penny und Otto? Das las man doch mal anders… Und auch die Namen der Freundinnen, nämlich Beatrice oder Laura oder das die Damen in neue Welten kutschierende Auto „Fiat Ulysses“ sind feine literarisch-ironische Anspielungen. Immerhin muss Hund Zwiebel bei Dagmar Leupold nur kurze Zeit auf Rückkehrer Otto warten, bei Homer leidet Hund Argos 20 Jahre.
Ina Kuegler

Ernst-Wilhelm Händler
München – Gesellschaftsroman
350 Seiten
S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2016
23 Euro

Dagmar Leupold
Die Witwen – Ein Abenteuerroman
232 Seiten
Jung und Jung, Salzburg 2016
22 Euro