Über Gräber und Skelette schwappt eine Welle aus Wahrheitswunsch, Wissensdurst und irrwitziger Identitätssuche. Allerorten werden Grabsteine gelüftet, Särge gehoben und Skelette sortiert. Erst vor wenigen Wochen musste sich der seit 1989 einbalsamierte Salvador Dali, in Figueres zur ewigen Ruhe gebettet, aus einer Zahnhöhle Gewebe entnehmen lassen. – Vaterschaftsbestimmung! Er war es nicht. Wir wollen diese Causa aber hier jetzt nicht vertiefen, denn wesentlich dramatischer erging es Friedrich Schiller. Ja wieso jetzt dem?

Nun, es ist im Ergebnis modernster DNA-Untersuchungen leider so, dass uns dieser Dichter einfach durch die exakte Wissenschaft weggeforscht wurde. Sein Schädel, seine Gebeine – alles ist jetzt weg, und das kam so: Nein, unmöglich, das ganze novemberlich traurig-ausufernde Thema hier in wenigen Zeilen zu erschöpfen! Fest steht, dass sein Sarg künftig leer bleiben muss, dass sowohl Schiller-Schädel eins als auch Schiller-Schädel zwei, ganz zu schweigen von den Skeletten, zu altehrwürdigen Weimarer Bürgern des 18.Jahrhunderts gehören aber nicht zu unserem beliebten Dramatiker. Man hat unglücklicher Weise DNA-Befunde seines Sohns Ernst mit dem vermeintlichen Gebein Friedrich Schillers verglichen, und es kam nichts Gutes dabei heraus. Es gibt keinerlei Ähnlichkeit!

Das Unglück begann im Grunde schon damit, dass Schillers Leiche am 12. März 1805 kurz nach Mitternacht in eine Weimarer Elite-Gruft hinuntergelassen wurde, gebettet in einem einfachen Fichtensarg. Dort lagen etliche Weimarer Ehrenbürger und Adlige begraben. Die Särge türmten sich über-und nebeneinander in dem feucht-modrigen Verlies. Alles was danach kam, war eine Farce: Illegale Gruftöffnung anno 1826. Suche nach seinem Skelett unter etwa 30 dort Begrabenen, zwischen längst verrotteten Särgen. Schädelvergleiche unter 23 möglichen in einem Jutesack geborgenen Köpfen. Bestimmung des „einzig richtigen Schädels“ durch Vergleich mit der Totenmaske. Goethes Terzinen über den Freundesschädel. Zweite Bestattung in der Weimarer Fürstengruft 1827. Ausgrabung eines zweiten Schädels als vermeintlich Richtiger im Jahre 1914, als es auf den 100sten Todestag zuging. Da der 200ste Todestag
anno 2005 zu neuen Analysen geführt hat, initiiert durch die Klassik Stiftung Weimar, steht fest, dass Schiller-Pilger für immer vor einem leeren Sarg stehen werden. Die Stiftung hat vor kurzem beschlossen, der ganzen Sache ein Ende zu bereiten: ein Schädel wird wieder begraben und der zweite einem Museum übergeben.

Vielleicht hätte die Wahrheit hier ausnahmsweise einmal verborgen bleiben sollen, der Irrtum ruhen neben Goethe, Sarg an Sarg? Die gnadenlose Wissenschaft schweigen? Verbleibt doch jetzt der bittere Nachgeschmack, Goethe habe selbst noch im Sarg mehr Glück gehabt als Schiller. Und das geht denn doch entschieden zu weit.
W.H.