Von Elisabeth Weinkauf

An einem regnerischen Wochentag Ende April geht bei der Polizei in München ein Notruf ein:
„Ich werde von einem Islamisten bedroht und festgehalten.“ – „Wo sind Sie?“

„Ich bin gerade beim Joggen, irgendwo im Wald. Da stellt er sich mir in den Weg und hält mich am Ärmel fest. Und spricht arabisch auf mich ein. Und ruft ständig „Allah“. Er hat einen riesigen schwarzen Hund bei sich. Der ist an mir hochgesprungen und wollte mir ins Gesicht. – Da, hören, hören Sie es?“

Die Beamten auf der Polizeistation stellen ihre Gespräche ein und lauschen. Aus der Lautsprechanlage kommt ein mehrmaliges kehliges, in bedrohlichem Bass ausgestoßenes „Allah“. „Hallo, hören Sie mich?“, sagt der Beamte zu der Telefonanlage, „das ist vielleicht nur ein Witzbold, gehen Sie einfach weiter!“

„Seine Augen glühen fanatisch. Einen schwarzen Vollbart hat er auch. Und eine Kapuze. Schon wieder, hören Sie es, wie er Allah ruft?“„Aber ein Hassprediger im Wald? Ist das nicht ein bisschen seltsam?“

„Einen Rucksack hat er auch dabei. Da, schon wieder sein Hund. Der steht mit gefletschten Zähnen vor mir.“

„Also gut, wir haben Ihr Handy geortet. Wir schicken gleich jemanden vorbei.“ An die diensthabenden Polizisten geht folgende Meldung: Vermutlicher Islamist bedroht Passanten. Hassprediger! Polizeieinsatz mit vier Mann. Terrorabwehr in Bereitschaft halten.

Vier Polizisten stürmen im Eilschritt und mit entsicherter Pistole durch den Forst zu der Stelle, wo sie das Handy geortet haben.

„Nehmen Sie den Hund an die Leine“, rufen sie, sobald sie die Gruppe entdeckt haben.

„Allah, Allah“ sagt der Terrorist und nähert sich noch ein paar Schritte, so dass der Beamte abwehrend ruft:

„Papiere, können Sie sich ausweisen?“

„Allah“, sagt der Angesprochene. Mit diesem kehligen „H“am Ende

„Sehen Sie, wie renitent der ist?“ mischt sich jetzt der Jogger ein. „Der hat keine Papiere, der versteht kein Deutsch oder will es nicht verstehen. Und was hat der überhaupt in seinem Rucksack?“

Die Polizisten reißen wie in einer zwar späten, aber durchaus geplanten Aktion dem Mann das beutelartige Gebilde vom Rücken und schleudern es zu Boden. Erst beim Aufknüpfen der Schließschnur, die mit einem doppelten Knoten gesichert ist, kommt ihnen der Verdacht, dass sich ja ein Zünder im Rucksack befinden könnte, eine Bombe, die nicht nur den Jogger, sondern womöglich sie alle wegreißen würde, so dass sie den Sack nehmen, in weitem Bogen in ein Gebüsch werfen und wie ein Standbild verharren. Als nichts passiert, brüllen sie „Du verreckter Hurensohn, du dreckiger Islamist, wo willst denn hin mit deinem Graffel?“ und der Behandschuhte ruft zu seinen Kollegen: „Gib mir mal die Handschelln“ und zu zweit versuchen sie den Täter festzunehmen. Der wehrt sich. Der Hund bellt, jault. Erst tritt der Polizist „den Islamisten“ gegen die Nieren dann rammt er ihm die Knie in den Unterleib, endlich gelingt es ihm, die Handschellen anzulegen.

„Dreh dich her zu mir“, ruft ein Polizist, der bisher noch nicht besonders in Erscheinung getreten ist, und will ihn fotografieren. Aber der Gefangene wendet sich ab, er will nicht fotografiert werden. Der Behandschuhte greift ihm ins Genick und drückt „Motherfucker!“ seine Kehle zu, so dass er endlich zu Boden geht und das Bewusstsein verliert.

Die vier Polizisten schauen sich betreten an „Was hätt’mer denn tun solln?“ und „Des wär eigentlich ein Fall für die Terrorabwehr“. Einer ruft den Notdienst an.

Die Tochter hat für den Besuch ihres Vaters aus Aserbeidschan gut vorgesorgt. Ihre zwei Kinder, ein Junge, vier, und ein Mädchen, drei Jahre alt, hat sie schon Wochen vorher auf ihn vorbereitet. Für die ersten Tage seines Besuchs hat sie noch Urlaub genommen, führt ihn in die Innenstadt, wo er die einzigen zwei deutschen Sätze, die er beherrscht, überall anbringen kann: „Hallo, wie geht’s“ und „Vielen Dank für Ihre Hilfe“. Aber dann gehen die Tochter wieder zur Arbeit und die Kinder in den Kindergarten. Da bleibt nur der Hund, ein tiefschwarzer Rüde mit einem weißen Latz, riesigen schwarzen Pupillen und einer menschenzugewandten Seele. So werden sie, der Vater und der Hund, den ganzen Tag alleingelassen, sprachlos beide, zu natürlichen Verbündeten und durchstreifen in den vielen freien Stunden gemeinsam den nahen Forst.

An einem Aprilnachmittag verlassen sie das Haus. Die Luft ist dampfig, aber es regnet nicht, der Hund an seiner Seite verlässt sich auf ihn. Als der Regen nach kurzer Zeit eher zugenommen hat, läuft der Vater in die Richtung, von der er glaubt, hergekommen zu sein. Nach einer Weile sieht er einen Jogger auf sich zu kommen.

„Allah!“, ruft er, „Allah, Allah!“, und als der Jogger stehenbleibt, gießt er einen flammenden Wortschwall auf Russisch über ihn und ruft nochmals „Allah, Allah!“

Der Jogger weicht etwas zurück: ein Hassprediger mitten im Wald! Und dann der Hund! Er dreht sich langsam um und will in die Richtung, aus der er gekommen ist, davontraben. Der Hund aber spürt, dass er den Jogger für seinen Herrn aufhalten soll und fällt dem Jogger von hinten in den Rücken.

Der Vater wirft entschuldigend seine Arme in die Luft, und ruft beinahe flehentlich „Allah“. Da streift sich der Jogger die Pfotenabdrücke von seinem wasserdichten Thermoanzug, fischt sein Handy aus der Brusttasche und wählt den Notruf.

„Ich rufe jetzt die Polizei“, verkündet er.

Nach kurzer Zeit streift eine Lichtwelle über die nassen Baumwipfel, senkt sich durch das dunkle Blattwerk. Eine Lautsprecherstimme bellt durch die Stille: „Stehen bleiben, hier ist die Polizei“, der Vater geht den Männern ein paar Schritte entgegen, bis er sieht, dass sie im Eilschritt, die Pistolen im Anschlag, auf ihn zu stürzen.

Als der Rettungsdienst kaum eine halbe Stunde später eintrifft, hat der Vater sein Bewusstsein wiedererlangt, weiß aber nicht, wo er ist. Ein Sanitäter fragt ihn, wo er wohnt und legt, als er verständnislos angeschaut wird, seinen Kopf auf die seitlich gefalteten Handflächen, um einen Schlafplatz anzudeuten. Da erinnert sich der Vater dunkel und sagt noch einmal, obwohl er nicht mehr glaubt, dass ihm das jemand abnimmt: „Allah“.

„Allach“, sagt der Sanitäter, „da haben Sie sich aber ganz schön verlaufen“.