Einige sind heimlich geflohen, Einzelgänger. Es gab aber auch Buchhandlungen, aus denen sie massenhaft am hellen Tage ausgebrochen sind, vor allem im Zentrum der Stadt. Bücher haben sich aus dem Staub gemacht, denen man das niemals zugetraut hätte. Romane vor allem sind zu Hunderten geflohen, Sachbücher weniger, und Lyrik hat in der Regel ganz konservativ standgehalten in den ihr zugewiesenen Regalen. Die Buchhändler versuchen hektisch, alles schnell wieder aufzufüllen. Allerdings, „aus dem Staub“ zu sagen ist eine Gemeinheit. Tatsächlich sind es gerade die gepflegten Buchpaläste mit den riesigen Beständen, die den Exodus beklagen, gerade jene, die jetzt vor dem gewohnten gigantischen Weihnachtsansturm stehen. Auch Bestseller, die stolz und eitel unter Werbeplakaten in den Auslagen ruhen, haben sich ihren ruhmlosen Genossen, den Ladenhütern angeschlossen und sind über Nacht getürmt. Wollen sich zur Demo auf der Theresienwiese versammeln. Die Rote Revolution 1918/19 sei ihnen zu Kopf gestiegen, verlautet aus der Ettstraße. Tatsächlich haben die Bücher eine Rätevertretung gewählt mit allem, was ein Rätesystem zu bieten hat: Imperatives Mandat und jederzeitige Abwahlmöglichkeit, alles nur „Träumer“, würde Weidermann wahrscheinlich wieder sagen, der Literaturchef des „Spiegel“, dessen gleichnamiges Werk bei den Revoluzzern gesichtet wurde.

Als Gründe ihres Exodus gaben die edlen Bücher unseren Reportern gegenüber an:

  1. Sie wollen wirklich gelesen werden und nicht nur massenhaft gekauft und verschenkt.
  2. Sie wollen nicht mit umweltschädlichem Glanzpapier unter millionenfach hingeschlachteten Tannenbäumen zu liegen kommen.
  3. Sie weigern sich, von Dramaturgen und Drehbuchschreibern ständig als Rohmaterial für Theaterstücke, Filme und jetzt sogar Musicals ausgeschlachtet zu werden!

Aus Teilnehmerkreisen einer Konferenz am Salvatorplatz ist durchgesickert, dass der frisch gebackene Kultusminister von den Freien Wählern für a und c bereits pragmatische Sofortmaßnahmen in der Schublade liegen hat: Eine Nachrüstung von Romanen, um sie besser lesbar zu machen, wird allerdings abgelehnt, zu teuer! Umtausch geht schon eher. Auch über Aufführungsverbote an Bayerischen Staatstheatern für all jene Stücke, die von eifrigen Dramaturgen aus Romanen von Dostojewski, Kafka bis Thomas Mann destilliert worden sind, ließe sich reden – temporär. Am heikelsten ist der Punkt b mit den Weihnachtsbäumen wegen deutscher Seele, Oh Tannenbaum und ähnlichem Liedgut und der Papierindustrie – Arbeitsplätze! Das vorsitzende Buch der Bayerischen Buchräteversammlung, ein Roman von Maxim Biller, fordert ein Ende des Baumschlachtens. Freischärler aus rechten Kreisen umzingeln zur Stunde die revoltierenden Bücher, die jetzt fordern, Weihnachten ganz abzuschaffen, die Buchhandlungen antworten mit Aussperrungen, Steinmeier, gottlob, will endlich in dem Alptraum vermitteln.            WH.