Es müssen Virologen gewesen sein, die in diesem Herbst den Deutschen, Schweizer und Österreichischen Buchpreis entschieden haben, lauter Überraschungen! Aber können wir uns wirklich vorstellen, dass irgendjemand außer Drosten, Streeck, Schmidt-Chanasit oder Kekulé noch irgendetwas von Bedeutung entscheiden könnte? Man kennt sie, die mächtigen Herren und die ihnen gelegentlich beigesellten Damen der virologischen Wissenschaft ja inzwischen so gut, dass man Titel und Geschlechtsbezeichnung längst weglässt. Drosten durfte sogar die sogenannte Marbacher „Schillerrede“ (Geburtstag 10. November) halten! Heinrich Heine (* 13.12.) und Theodor Fontane (* 30.12.) böten sich als die nächsten an.

Freilich, es herrscht Zozobra, der mexikanisch-spanische Begriff für unruhige Zeiten, stürmisches Meer. Da sucht manch Haltloser Rat beim Haltlosen – etwa Lothar Matthäus, wie wir lesen durften, bei Franz Heros Beckenbauer, dem er alles, aber auch wirklich alles anvertraut. Ja, es beruhigt schon, von einer Vater-Sohn-Beziehung zu hören, die so schwer in Ordnung ist. Vielleicht wäre es das gewesen, was Hans Castorp gebraucht hätte, als er im „Zauberberg“ zwischen Settembrini und Clawdia Chauchat den Kompass suchte? Oder was sein Schöpfer, Thomas Mann, im Deutschen Wesen suchte, bevor er sich schließlich in die Demokratie verliebte. (Und waren die Jahre um 1919 nicht zehnmal wilder als dieses 2020?) Aber Denken kann eben riskant sein.

Was uns zu Schiller und Drosten zurückführt, denn die große „Freiheit“, die der Charité-Mann an sich selbst so rühmt und über alles schätzt, konnte – anders als der Virologe vermutet – unser Marbacher Dichter längst nicht finden. Schon in Mannheim musste er die „Räuber“ ändern, floh dann nach Thüringen und landete schließlich in Weimar. Dort, am Hof des „aufgeklärten“ Herzogs ging der Ärger erst richtig los. Carl-August bestand darauf, dass die weibliche Starrolle eines jeden
neuen Schiller-Stücks auf seine Ge-liebte, die Schauspielerin Caroline Jagemann passte. Die „Johanna von Orleans“ musste deshalb in Leipzig uraufgeführt werden, „Maria Stuart“ wurde gekürzt, und die „Räuber“ wollte der Weimarer Hof – aus ganz anderen Gründen – eigentlich gar nicht sehen.

Ja, Friedrich Schiller hätte, wie Drosten meint, Maske getragen, schon allein weil er mit seiner Lungenkrankheit zur Risikogruppe gehört hätte. Ein anständiges Antibiotikum freilich hätte ihm noch mehr geholfen – warum waren Sie da nicht zur Stelle, Drosten? Doch jetzt, da die Rettung naht in Impfspritzen aus Mainz und aus den USA, wollen wir nicht weiter kleinlich sein. Denn, und das muss hier einfach mal gesagt werden, auch wenn Schiller ein großer Querkopf war, Hölderlin war der Prophet: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Sein Geburtstag wäre übrigens am 20. März – der Zweihunderteinundfünfzigste.

 W.H.