Erinnerungen an die Schriftstellerin und Dichterin Emma Bonn

Von Katrin Diehl

So ganz heimelig will es einem nicht werden bei diesem Weihnachtsgedicht. Wirklich originell ist es auch nicht. Aber anhören sollte man es sich trotzdem, nicht weil sich in ihm ungeahnte Interpretationsüberraschungen verbergen, sondern weil sich entlang dieser „Weihnachtskerzen“-Verse ganz gut eine Geschichte, eine Lebensgeschichte erzählen lässt. „Jedes Licht, das sich verzehrt / An dem Tannenbaum, / Im Verglühn die Wärme nährt / Rings im Weltenraum.// Jede Frucht, die unbegehrt / Faulend niedersinkt, / Tausend Keime unversehrt / Heim zur Erde bringt.// Alles Sterben schürt den Herd / Zeugungs-Ueberschwang, /  Noch aus letzter Fäulnis gärt / Neuer Lebensdrang.“ Da geht es sehr schnell vom wärmenden Lichtzauber hinein in den kompostigen Kreislauf der unsentimentalen Natur, besser gesagt, der planerfüllenden Biologie. Das Gedicht stammt von Emma Bonn und ist eines der wenigen, dessen Typoskript die Dichterin handschriftlich unterzeichnet hat und zwar dicht unter der Datumszeile „Weihnachten 1933“. Das erste Weihnachten unter Hitler also.

Emma Bonn ist Jüdin. Dass sie dennoch ein Weihnachtsgedicht schrieb, ist nichts so Besonderes, und trotzdem bietet es Gelegenheit, auf eine äußerst christliche Krankenschwester wie Haushaltshilfe hinzuweisen, die Emma Bonn, eine sehr kränkliche Person, in deren Feldafinger Villa am Starnberger See umsorgt hat, eine Hilfe, von der Emma abhängig war und die sie wohl in viel Christliches eingeweiht hat, was zumindest in einigen von Emmas Gedichten schwülstige Spuren hinterließ.

Geboren wurde Emma Bonn am 5. Februar 1879 in New York City, was schlicht damit zu tun hatte, dass ihr Vater da ein Frankfurter Bankhaus vertrat. Gut möglich, dass sich Emma später noch an dies oder das aus der Zeit in den USA erinnern konnte. Was sie sicher nicht bewusst mitbekommen hatte, war der Tod der Mutter wenige Tage nach ihrer Geburt. 1885 kehrt die Familie nach Frankfurt am Main zurück. Später wird der Vater wieder heiraten, eine Witwe, die Emma Bonn und deren Bruder vier Halbgeschwister bescherte.

Es folgt eine Kindheit, die sich als literaturtauglich bezeichnen lässt. Die Familie gehört dem, wie man das so nennt, „Bankiers-Adel“ an, verbringt die Sommer vor dem Ersten Weltkrieg auf einem herrschaftlichen Anwesen im von Frankfurt nicht weit entfernten Kronberg. Emma Bonn gibt dieser frühen Zeit in ihrem Buch „Das Kind im Spiegel“ von 1935 schönen Raum, ein lesenswerter Text, der sich in den Stadtbibliotheken noch ausleihen lässt und der – auch um Emma Bonn ein wenig „näher zu kommen“ – dazu reizt, nach zu verfolgen, wer da „in echt“ hinter all den Namen steckt.

Angela von Gans hat das sehr genau getan. Die Dame lebt in München und ist eine äußerst passionierte Familienforscherin, beinahe süchtig danach, zu erfahren und zu verstehen, welche Vorfahren sich hinter ihr verbergen. In Australien geboren, aufgewachsen in Indien, in den 50ern folgte Frankfurt, dann Düsseldorf. Nach dem Tod des Vaters zieht sie zusammen mit ihrer Mutter nach Wien und irgendwann ist es eben dann München. Sie beginnt über die „Gänse“, wie sie ihre wirkungsmächtigen Vorfahren der „von Gans“-Seite nennt, zu schreiben (2008 wird ein Buch daraus), stößt dabei auch am Ende eines ganz feinen Ästchens des Familienbaums auf Emma Bonn: „Emmas Großmutter ist eine Henriette Gans, die Schwester von meinem Urgroßvater“, erklärt sie. Irgendjemand aus der Verwandtschaft in den USA, der von ihrer Ahnenforschung mitbekommen hatte, schickte ihr jedenfalls vor gut zwei Jahren ein Paket, das gefüllt war mit Gedichten von Emma Bonn. „Und jetzt?“, fragte sich Angela von Gans. Sie beschäftigte sich immer intensiver mit dieser „kämpferischen aber wenig selbstbewussten Frau“, woraus ihr nächstes, neues Buch – „Emma Bonn 1879-1942“ – geworden ist.

Die Bonn-Familie verteilt sich, den Rufen der Bankhäuser folgend, über die Welt. Emma geht einen Sonderweg, lässt sich in Feldafing nieder und schreibt. Zunächst ein paar Novellen, „Die Mündung“, „Die Verirrten“, „Das blinde Geschlecht“…, für die sie auch Verlage und ein bisschen Beachtung findet. Zu wenig, findet Emma. Sie sucht den Kontakt zu den Literatenkreisen um Thomas Mann und Bruno Frank, und auch Jakob Wassermann wird kontaktiert mit der Bitte um ein bisschen Protektion. Die Herren Dichter besuchen die Dame ab und an, wechseln wohlmeinende Worte, die sie später gerne in gepflegten Briefen wiederholen. Die kleine Korrespondenz lässt sich in der Monacensia einsehen. Mit Gedichten fängt Emma Bonn an, als sich ihr Nervenleiden verschlimmert und sie sich zunehmend schwächer fühlt. Sie verbringt viele Stunden im Bett, an ihrer Seite ein Telefon. Die Zeit arbeitet gegen sie. Die „Braunen“ spucken längst ihr antisemitisches Gift. Auch in Feldafing. 1940 wird Emma Bonn gezwungen, ihre Villa zu verkaufen. 1942 kommt die kranke Frau ins Münchner „Israelitische Kranken- und Schwesterheim“, von dort aus wird sie im Juni des Jahres nach Theresienstadt deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren. Vor Emma Bonns Villa in Feldafing findet sich heute ein „Stolperstein“. Er erinnert an die Schriftstellerin, die Dichterin, aber auch an die Wohltäterin, die den Armen, wenn die „Weihnachtskerzen“ brennen, so regelmäßig wie zuverlässig hat „Weihnachtsgaben“ zukommen lassen.

Angela von Gans: Emma Bonn 1879–1942. Spurensuche nach einer deutsch-jüdischen Schriftstellerin, Stroux Verlag, München 2021