Die Internationale Jugendbibliothek zeigt Kinder- und Jugendsachbücher aus fünf Jahrhunderten

Von Katrin Diehl

Abgesehen davon, dass sich das als schöner Weihnachtsausflug für die ganze Familie denken lässt – hinauszufahren zur Internationalen Jugendbibliothek (IJB) im Schloss Blutenburg –, bietet sich das noch einmal mehr an, wenn man sich in den dortigen Westflügel begibt, wo einen die Ausstellung „Ich weiß etwas, was du nicht weißt! – Weltwissen in Kinder- und Jugendsachbüchern aus fünf Jahrhunderten“ erwartet. Sie hat viel Erbauliches, viel Schönes, einiges Erstaunliches, Nachdenkenswertes, aber auch Lustiges, wie das so ist, wenn man sich in die Bilderbuchwelt unserer Vorvorväter und -mütter begibt. Die Ausstellung präsentiert Kinder- und Jugendsachbücher, die vor allem durch ihre kunstvollen, detailgenauen und nostalgisch anrührenden Illustrationen fangen. Aber auch der Text ist nicht ohne, weil er Auskunft gibt über die Zeit, in der er entstanden ist, weil er etwas über die Geschichte des Kinderbuches, Sparte Sachbuch (man nannte das damals Realienbuch) erzählt, und weil er hier und da auch zeigt, dass wissenschaftliche Auskünfte von damals – die man als Zeitgenosse ja immer gerne als bare Münze nimmt – längst über den Haufen geworfen wurden.

Die Bücher, die aufgeschlagen einen Einblick geben (andere liegen in Schubladen, die man aufziehen darf), sind zum großen Teil das, was man Raritäten nennt. Sie gehören zu einer etwas 1.300 Bücher umfassenden Sammlung historischer Kinder- und Jugendbücher, die zwischen 1550 und dann bis in die 1920-er Jahre hinein in Deutschland erschienen sind (und oft sind es Erstausgaben). Gesammelt wurde diese Liebhaber-Pracht von Werner Ziesel, der eher zufällig zu dieser Leidenschaft gefunden, und dann eben Ende der 80er Jahre zu sammeln begonnen hatte. Ziesel sah sich in Antiquariaten um, wo oft Nachlässe landen, später auf entsprechenden „Plattformen“, „und da habe ich dann das gekauft, was mir ganz persönlich gefallen hat“. Irgendwann einmal meinte Ziesels Ehefrau, das alles könne man doch auch einem größeren Publikum zugänglich machen. Inzwischen hatte die Sache nämlich Form angenommen. Werner Ziesel hatte sich zur Erfassung der ganzen Titel eine extra Software entwickeln lassen, und mittlerweile war der „Autodidakt“ auch schon recht kundig, was Illustrationstechniken etc. anbelangt (und Franz von Pocci gehörte da zu einer seiner Lieblingskönner). „Das war dann eben mein Ding“, sagt Werner Ziesel, „und so ist das beim Sammeln: Irgendwann gibt es einen roten Faden“. Er legte sein Augenmerk auf Bücher, die den Kindern Wissen vermitteln sollten und die bis heute einer kaum veränderten Erzählstrategie folgen: Erwachsene wollen das, was sie als wissenswert empfinden – mehr oder weniger pädagogisch klug – an die nächste Generation weitergeben. Es geht um das Verstehen der Welt, nach dem der Mensch von klein auf verlangt, und es geht darum, dass der aufgeklärte Erwachsene diesem frühen Verlangen entgegenkommen möchte.

Und dann schließlich im Jahr 2018 nahm Werner Ziesel Kontakt mit der IJB auf. Ein Jahr später überließ er ihr seine Sammlung als Depositum, die er jetzt, 2022, in „eine großzügige Schenkung“ umgewandelt hat.

Textlich ließ man sich, um pädagogisch nicht gar zu plump aufzutreten, schon in vergangenen Zeiten einiges einfallen. So nimmt der junge Leser, die junge Leserin zum Beispiel an einem fiktiven Gespräch eines erklärenden Vaters mit dessen Kindern teil. Auch reimt man ab und zu, weil sich damit Wissen besser behalten lässt: „Ganz oben an der Vögel Schaar, / Da steh’n die Papageien; / Die wunderschön von Farbe sind, / Doch ganz entsetzlich schreien.“, wie Kathinka Zitz 1851 in ihrer „Naturgeschichte des gesammten Tierreiches in Versen“ kein bisschen bescheiden erklärt.

Über patriarchale, kolonialistische, ideologisch gezielt gesetzte Texte lässt sich natürlich nicht hinwegsehen. Wie sollte es anders sein? Viele der Texte sind ein Beweis dafür, dass jeglicher Zeitgeist natürlich auch vor den Kindern nicht Halt machte und dass diese wertevermittelnde Ebene eben durchaus auch das Sachbuch durchzieht.

Die Ausstellung (Kuratorin: Jutta Reusch) ist einer Wunderkammer nachempfunden. Zwischen den Büchern liegen Kuriositäten, die Ambiente schaffen. Den alten Büchern werden neue, jetzige Titel „entgegengestellt“. War die Bücherwelt in der Welt vor mehreren Jahrhunderten noch sehr überschaubar – noch einmal mehr die Bücherwelt für Kinder (auch wenn neue Entdeckungen, Eroberungen und Erfindungen sich schnell aufs Angebot niederschlugen) –, hat das Kindersachbuch heute Hochkonjunktur. Einfach ist das nicht, den Wert des einzelnen Buches samt dessen Inhalts noch so zu schätzen, wie man das einst getan haben mag. Und so freut man sich auch an den kleinen Fettfleckchen oder Kinderkritzikratzis der Ausstellungsstücke, die von echtem Gebrauch erzählen.

„Ich weiß etwas, was du nicht weißt! – Weltwissen in Kinder- und Jugendsachbüchern aus fünf Jahrhunderten“, Ausstellung in der Schatzkammer der Internationalen Jugendbibliothek, Schloss Blutenburg, bis 15. April,
Mo-Do 10-16 Uhr, Fr 10-14 Uhr, Sa/So 14-17 Uhr