Sie haben auch dieses Jahr nicht den Anruf aus Stockholm bekommen am 9. Oktober vormittags? – Ein Mann, meist heißt er Engholm, Ekström oder ähnlich, der sehr gebrochen Deutsch spricht und Ihre IBAN, BIC und SWIFT verlangt zwecks Überweisung eines Betrags von, sagen wir mal, 870.000 Euro, und lockt mit der Übergabe des Literatur-Nobelpreises? Meist klingelt es ja schon um 10 Uhr MEZ, was auch erklärt, dass amerikanische Preisträger erzählen, was sie nach Mitternacht an Spannung und Überraschung Tolles erlebt haben, während „unser“ (das dürfen wir doch sagen, Günter, oder?) GG dem Vernehmen nach gerade beim Zahnarzt unter dem Bohrer gelegen haben soll, einer Krone wegen, und, typisch wieder, Samuel Beckett ganz lässig auf Safari war. „Dem Vernehmen nach“ – während es bis 1999 noch hieß, „aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle“, müsste es seither wohl „Internet-Quelle“ heißen, denn daraus sprudelt all das, was Journalisten so verbreiten.

Aber zurück zu Nobel. Am 10. Dezember um 19 Uhr kulminiert das Ganze in einem Stockholmer Bankett, in der kältesten und finstersten Zeit des Jahres, und man munkelt ja, dass diese finstere „Verleihung“ für den Geehrten den künstlerischen Todeskuss bedeutet, weil nur sehr selten einer von ihnen danach noch wirklich produktiv war – „unser“ Thomas Mann ausgenommen, der ja als einziger sogar nach der Verleihung noch ein zweites Mal für den NP nominiert wurde, womit wir endlich beim Nobel-Tratsch angelangt wären. Dieser wird durch „Protokolle“ gefüttert, die jeweils 50 Jahre nach der entscheidenden Sitzung des Nobel-Komitees veröffentlicht werden, weshalb wir dann auch erfahren, wer haarscharf an der Ehrung vorbei geschrammt ist – Graham Greene etwa, die Blixen oder, jaja, Hans Carossa, unser Mann aus Niederbayern.

Der Nobel-Tratsch lässt sich grob einteilen in den externen und den internen. Dieser ist der Interessantere, weil er jene Blähungen aus dem Magen-Darm-Trakt der zuständigen Akademie bündelt, nach denen wir uns sehnen: Wer wurde warum abgelehnt, wieso wurde der „Zauberberg“ verworfen und weshalb konnten die Franzosen mit Patrick Modiano jetzt die Deutschsprachler übertreffen, und: Wann geht denen da oben eigentlich das Geld aus? Hinter der Hand geflüstert: Es sollen über zwei Milliarden Kronen auf dem Konto liegen – nicht Zahn-, sondern Schweden-, na also, es bleibt noch Hoffnung, bis nächsten Oktober!
WH.