Manchmal sehe ich es, und dann wieder nicht. Ich komme nicht dahinter, wie es das macht, und wozu, und vor allem verstehe ich nicht, warum es unsichtbar wird. Ich vermute, es will sich meiner Kontrolle entziehen.

Erst dachte ich: Naja, ein Hund. Hunde gibt es auch hier viele, und manche sind sogar ganz nett. Das Problem ist, dass man sie kaum wieder los wird, vor allem die netten, die die wirklich nur spielen wollen; eifrigst irgendwelche Stöckchen immer und immer wieder zurückbringen wollen. Eine Weile mag das ganz schön sein, aber irgendwann wird es lästig. Und dann ist der Hund erst mal da. Dann bleibt er einfach. Will immer da sein, wo ich bin. Folgt mir auf Schritt und Tritt. Keine Chance mehr, einfach mal nur für mich zu sein.

Der Hund schaut, ob ich ihn anschaue. Stellt er fest, dass nicht, fängt er an, sich bemerkbar zu machen. Erst mit leisen Tönen: Murren, Seufzen, Röcheln. Wenn das nicht hilft, geht er ins Knurren über, dann ins Bellen.

Aber ein Hund bleibt dabei immer er selber. Ich habe noch nie einen Hund erlebt, der sich unsichtbar machen kann. Wahrscheinlich ist das, was sich bei mir seit einiger Zeit breitmacht, kein Hund. Es bellt auch nicht. Es ist lautlos da, oder auch nicht da. Ich kann nie sagen, ob es da ist oder nicht. Es könnte da sein, ohne dass ich es sehe. Das beunruhigt mich. Nein – das Tier, falls es eines ist, tut mir nichts. Es ist nur da, wie ein netter Hund.

Aber ein Mensch behält doch gern die Entscheidung darüber, wer mit ihm im Haus wohnt, wer mit ihm im Raum sich aufhält, wer mit ihm im Bett liegt, oder neben dem Bett steht. Diese Entscheidung ist mir genommen. Das irritiert mich zunehmend; insbesondere, wenn ich das Tier sehe – falls es ein Tier ist – und es dann durchsichtig wird, und nicht mehr zu sehen ist.

Gestern verließ ich das Haus. Das Gartentor schloss ich nicht ab, als ich auf die Straße hinaustrat. Ich ging den Feldweg zum Strand hinunter. Zwei wilde Hunde schnürten mir geduckt entgegen. Ich blieb stehen, um einzuschätzen, ob sie angreifen würden. Als sie noch zehn Schritte entfernt waren, fing einer an zu winseln, sie kamen nicht mehr näher. Neben mir raschelte etwas, wie ein Windhauch. Aber da war kein Wind, und nichts, was rascheln kann. Ich bekam Gänsehaut, als ich dachte: das Tier, neben mir, und unsichtbar, zumindest für mich. Sahen die Strandköter etwas, oder rochen sie es? Jetzt winselte auch der zweite Hund. Sie zogen den Schwanz ein und trollten sich seitlich, ins Gebüsch, in Richtung des verfallenen Gehöfts neben dem Olivenhain. Kaum waren die lästigen Köter verschwunden, wurde mir auf dem weiteren Weg zum Strand klar oder ich sage mal: annähernd klar, was am Tag davor passiert war.

Wie jeden Samstagmittag kam Georgo auf dem Weg zu seinem Jagrevier vorbei, um sich mit einem Espresso zu stärken. Kaum war sein knapper Hupton verklungen, den er beim samstags stets offenen Gartentor absetzt, sprang auch schon sein Jagdhund Feri aus dem alten Landrover und hetzte schwanzwedelnd auf mich zu, um seinen Leckerbissen zu fangen. Da rauschte es kaum merklich neben mir. Feri stoppte hart und schlich dann auf mich zu – ein Verhalten, das er noch nie gezeigt hatte. Offenbar, so dämmerte es mir jetzt, als ich mich dem Strand näherte, hatte Feri meinen aufdringlichen unsichtbaren Begleiter gesehen; nein, wohl eher gewittert, und gewartet, bis der sich zurückzog.

An dem Samstagmittag war mir Feri – ja, von Herzen! – sympathisch wie nie. Und jetzt, als mir schon der warme Seewind um die Nase strich, verstand ich den Grund für meine plötzliche Zuneigung für Feri: Er war sichtbar, er blieb sichtbar. Er war ganz und gar aus Fleisch und Blut, ein Lebewesen wie ich und Georgo und all die anderen sympathischen und weniger sympathischen Menschen auf dieser Welt. Dagegen dieser selbst eingeladene Gast, der mir ungebeten zur Seite geht und steht, nach Belieben auftaucht und verschwindet. Und zwar nicht, indem er herankommt und sich entfernt, wie Feri oder Georgo; sondern indem er vom Sichtbarmodus in den Unsichtbarmodus wechselt.

Es ist ungeheuerlich, was mir mit diesem Hund tagtäglich zugemutet wird. Wenn ich ihn „Hund“ nenne, dann ist das eine grobe Vereinfachung. Er sieht nicht immer aus wie ein Hund – ich meine: vierbeinig, mit Schnauze und Fell im Gesicht, wie ein Hund zumeist aussieht. Bisweilen erinnert er eher an die Mondkälber und Marsmenschen, die mein Vater, wenn er abends in der Küche sein Weißbier trank, auf den Bierdeckel malte, um uns Kinder zu beeindrucken: sehr große Ohren, langer dünner gewundener Hals, Antennen auf dem Kopf. Vater konnte uns glauben machen, er habe diese Wesen bei seinem kriegsbedingten Aufenthalt in Rußland persönlich kennen gelernt. Danach hatten wir immer Angst, diese unheimlichen Wesen könnten uns nachts im Schlaf auffressen oder in ihren Raumschiffen entführen. Aber ich schweife ab.

Mein Hund ist kein Außerirdischer. Ich glaube nicht mehr an Außerirdische, seit mein Vater später zuzugeben gezwungen war, er habe damals seiner Phantasie zu sehr freien Lauf gelassen. Es wird höchste Zeit zu überprüfen, wie real der Hund ist, bevor ich anderen Menschen von ihm erzähle. Aber wie? Meine Idee von letzter Woche, beim Bäcker im Dorf Mehl zu kaufen und es im Wohnzimmer zu verstreuen, um Fußabdrücke von dem Tier zu gewinnen, scheint mir einerseits doch zu unpraktisch, und dann auch irgendwie unlogisch: Vielleicht würden die Pfotenabdrücke genauso schnell verschwinden wie ihr Verursacher. Und das Einzige, was mir dann bliebe, wäre doch wieder nur der Zweifel.

Nein – vielleicht ist die eigentliche Frage nicht, wie real der Hund ist. Sondern: warum er ausgerechnet zu mir kommt, wo ich mit Hunden doch eigentlich gar nichts zu tun haben will.

Rudolf Freiberger