Gisa Klönne, preisgekrönte Krimi-Autorin, hat einen packenden Familienroman geschrieben

Endstation Gewerbepark. Im strömenden Regen liegt der Zugführer Wolfgang Berger erstochen neben seiner abgestellten S-Bahn. Ein angetrunkener Passant, der die Streife gerufen hatte, will gesehen haben, wie ein schemenhafter Mann in dunklem Mantel floh.

Das Areal um den Gewerbepark in Köln gehört zu jenen lieblosen Orten, wie sie nur die Vorstädte der Metropolen bieten können, egal ob Köln, München oder Berlin. Die Großstädte kippen ihren Müll dorthin, genauso wie ihre sozialen Randexistenzen: schlechtbezahlte Arbeiter, Künstler am Existenzminimum, geduldete Exilanten und Huren samt Zuhälter.

Als zwei Tage nach dem Mord noch eine Billigpizzeria in Flammen aufgeht, der Besitzer dabei angekettet verkohlt und eine Prostituierte russischer Herkunft beinahe erstickt, wirft die Suche nach den Tätern und die Querverbindungen beider Fälle immer neue Fragen auf für das ermittelnde Team um die Kölner Hauptkommissarin Judith Krieger. Eine Suche zwischen Abfall und Macht, zwischen Kunst und Ausbeutung, hineingezwängt in ein Köln mit trüben, warmen, verregneten Januartagen.

Mit diesem Setting beginnt Gisa Klönnes preisgekrönter Krimi „Nacht ohne Schatten“, für den sie zu Recht den Friedrich-Glauser-Preis erhalten hatte. Die Journalistin, Politologin, Schriftstellerin und engagierte Frauenrechtlerin Gisa Klönne schreibt seit 2001 neben ihrer Redaktions- und Lehrtätigkeit Kurzgeschichten und Krimis, ist Mitglied der Autorengruppe „Das Syndikat“ und Sprecherin der „Sisters in Crime“. Dass Spannung nicht zwangsläufig an Leichen entlang erzählt werden muss, hat sie nun mit dem 2013 beim Münchner Piper Verlag erschienen Familienroman „Das Lied der Stare nach dem Frost“ bewiesen.

Eine Musikerin, Mitte Vierzig, begibt sich nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter auf die Suche nach ihrer Vergangenheit, die nur als Erinnerungsfetzen vorhanden ist. Dabei spielt die Unklarheit, ob der Tod Unfall oder Suizid war, zusätzliche eine wichtige Rolle. Die Barpianistin Rixa Hinrichs – aufgewachsen in Köln mit Wohnsitz in Berlin – reist in die ehemalige DDR, nach Sellin, Poserin und Klütz, wo sie als Kind immer die Sommerferien bei den Großeltern zugebracht hatte, in ein Land das, monitär ärmer als die BRD, doch soviel reicher an Leben und Gefühl war. Sukzessive findet sie Berichte und Zeitzeugen ihres Großvaters, der als Pfarrer der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit alles andere als ein christliches Vorbild gewesen zu sein scheint. Und langsam gibt die Geschichte ihre Grausamkeiten preis, wie sie in allen Kriegshistorien stecken.

Gisa Klönne gelingen in den Vor- und Rückblenden wunderbare innige Porträts dreier Generationen, die alle gleichsam in Schuld und Schmerz verstrickt sind. Die Frage, ob Erinnerung Wahrheit oder nur Verdrängung anbietet, bleibt dabei offen.

In diesem Jahr feiert Gisa Klönne ihren fünfzigsten Geburtstag. Wir gratulieren und wünschen ihr viel Kraft für weitere erstklassige (Krimi)-Literatur.
Michael Berwanger

Gisa Klönne
Das Lied der Stare nach dem Frost
Roman, gebunden 480 Seiten
Pendo im Piperverlag, München 2013
19,99 Euro