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Datum/Zeit
Datum - 12.09.2022
19:00 - 21:00
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Veranstaltungsort
Stiftung Lyrik Kabinett

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Ulrike Draesner und Tristan Marquardt in Lesung und Gespräch über
Das Nibelungenlied –  mit Felicitas Hoppe

Gefördert von der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) und der Kulturstiftung der Stadtsparkasse München

Die klassischen Heldenepen und höfischen Romane der mittelhochdeutschen Literatur: Sie sind hochberühmt, doch wer kennt sie wirklich? Zu den Epochen und Texten, mit denen sich gegenwärtige Autorinnen und Autoren auseinandersetzen, gehörten sie für längere Zeit kaum. Doch in den letzten Jahren ist das Interesse wieder gestiegen. Neue literarische Übersetzungen, Nachdichtungen und Neuerzählungen sind erschienen. Was früher zur ‚Nationalliteratur‘ verklärt wurde, gerät nun als weit verzweigter Stoff einer europäischen Literatur neu in den Blick.

Ulrike Draesner und Tristan Marquardt laden dazu ein, die Klassiker des Mittelalters neu zu lesen. Beide schreiben literarisch, beide haben in der Mediävistik promoviert und beide haben in ihren Publikationen mittelalterliche Texte neu vermittelt. Draesner verfasste für ihr Buch Nibelungen. Heimsuchung (Reclam 2016) zu den berühmten Jugendstil-Illustrationen von Carl Otto Czeschka neue Gedichte mit Nibelungen-Stoff. Marquardt gab 2017 gemeinsam mit Jan Wagner die Anthologie Unmögliche Liebe (Hanser Verlag) heraus, in der an die 70 Dichterinnen und Dichter literarische Neuübertragungen des Minnesangs vorlegen.


Das Nibelungenlied ist die wohl berühmteste mittelhochdeutsche Vers-Erzählung und eine von wenigen, die nicht aus einer anderssprachigen Vorlage übertragen wurde. Das Epos beruht auf verschiedenen mündlichen Erzählstoffen. Es handelt von Brautwerbung, Intrige und dem Niedergang der Burgunden. Felicitas Hoppe hat sich dem Stoff in ihrem Roman Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm noch einmal neu gewidmet und ein gesamteuropäisches Heldenepos geschrieben.

Dô was gelegen aller   dâ der veigen lîp.
ze stücken was gehouwen   dô daz edele wîp.
Dieterîch und Etzel   weinen dô began.
si klagten inneclîche   beide mâge und man.

 Diu vil michel êre   was gelegen tôt.
die liute hêten alle   jâmer unde nôt.
mit leide was verendet   des künges hôchgezît,
als ie diu liebe leide   z’aller jungeste gît. 

Ine kan iu niht bescheiden,   was sider dâ geschach,
wan ritter unde vrouwen   weinen man dâ sach,
dar zuo die edeln knehte   ir lieben vriunde tôt.
dâ hât daz maere ein ende.   diz ist der Nibelunge nôt. 

Da waren alle tot, die sterben sollten.
In Stücke war die Königin gehauen.
Dietrich und Etzel brachen in Tränen aus.
Von Herzen beklagten sie Verwandte und Vasallen.

Dahin war Macht und Herrlichkeit.
Es gab nur Not und Trauer.
Das Fest des Königs endete im Unglück,
so bringt zuletzt die Freude immer Leid.

Ich kann Euch nicht berichten, was später dort geschah,
weiß nur, daß Ritter und Damen
und hochgeborene Knappen um ihre Lieben weinten.
Da endet die Geschichte. Das ist der Kampf der Nibelungen.

Text und Übersetzung nach der Ausgabe: Das Nibelungenlied und die Klage. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text, Übersetzung und Kommentar. Hg. von Joachim Heinzle. Berlin 2015, Str. 2377–2379.