Volker Weidermanns Buch „Träumer“ bringt Literatur und Politik zusammen
Von Katrina Behrend Lesch
Die Bayrische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher Könige hinweggefegt.“ So, wird überliefert, begann Kurt Eisner seine Rede, in der er Bayern zum Freistaat und sich selbst zum Ministerpräsidenten erklärte. Sie ist nicht dokumentiert, wie so vieles, was in dieser heißen kurzen Zeit zwischen November 1918 und April 1919 passierte, doch Augenzeugen erzählen von ihrer bannenden Wirkung. Es sollte der Beginn einer neuen Welt werden, in der alles möglich war: radikaler Pazifismus, direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit, die Herrschaft der Fantasie. Einen magischen Moment lang hatten die Dichter die Macht übernommen, träumten davon, nach dem schrecklichen vierjährigen Krieg eine Herrschaft des Volkes auf die Beine zu stellen, eine Herrschaft der Solidarität und Menschenfreundlichkeit. Kaiser und König waren abgesetzt, der Krieg war durch Kapitulation beendet worden, nun sollte das Volk regieren, und es würde seine Sache gerecht und gut machen. Es blieb ein Traum, das böse Erwachen ließ nicht lange auf sich warten.
Volker Weidermann hat diese Tage, Wochen und Monate der Münchner Räterepublik, knappe fünf wurden es, mitreißend und detailgetreu beschrieben. Er nimmt den Leser mit an die Brennpunkte des Geschehens und schafft aus Dokumenten, Zeitzeugenberichten und Tagebucheinträgen eine rasante Stimmung, die das Schwanken zwischen Gerüchten, Meinungen und Tatsachen miterlebbar macht. Kurt Eisner, Erich Mühsam, Ernst Toller, Gustav Landauer sind keine Machtmenschen, keine Politiker, niemand von ihnen hat das Regieren und Führen eines Volkes gelernt. Sie haben darüber geschrieben, daran, ihre Gedanken in die Wirklichkeit zu übertragen, scheitern sie. Eindringlich folgt Weidermann ihren Bemühungen, und was ihm da an atmosphärischen Verdichtungen gelingt ist berührend, komisch und tragisch zugleich.
Als begleitende Beobachter lässt er weitere Dichter und Literaten zu Wort kommen, aus den unterschiedlichsten Perspektiven geben sie ihre ganz privaten Ansichten preis. Oskar Maria Graf begrüßt die Revolution, will verändern und feiert sie in ausufernden Saufgelagen. Thomas Mann hat gerade seine „Betrachtungen eines Unpolitischen“ veröffentlicht und Begriffe wie Demokratie, Fortschrittsglaube, Zivilisation als zutiefst undeutsch von sich gewiesen. Hauptsächlich hat er Angst und nur einen Wunsch, nämlich nicht zu verarmen. Rainer Maria Rilke stürzt sich in diesen turbulenten Tagen in die Versammlungssäle Münchens, ist unsichtbarer Teilnehmer einer Gefühlslage, von der er sich mitreißen lässt und die er gleichzeitig fürchtet. Für den Gymnasiasten Klaus Mann ist Kurt Eisner ein Held, in seinem Eisner-Stück legt er ihm die Worte in den Mund: „Wie schön dachte ich mir’s doch, ein Volk zu befreien, zu erlösen, zu regieren, ihnen ein Vater zu sein! Das waren verlorene Illusionen…“ Der Junge war gerade mal zwölf.
In Weidermanns Buch gibt es einen Mann, der heimat- und bindungslos durch München irrt und sich an seine Kompanie klammert, seine Ersatzfamilie. Den Ereignissen steht er anfangs keineswegs skeptisch gegenüber, trägt die rote Armbinde der Revolutionäre, wird jedoch nach dem Zusammenbruch der Räterepublik blitzschnell die Seiten wechseln. Nach einem antibolschewistischen Propagandakurs der Reichswehr erweist er sich als brillanter Redner. Der Mann hat seine Bestimmung gefunden. Es ist Adolf Hitler.
Volker Weidermann
Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen
288 Seiten
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
22 Euro