[LiSe 06/23] Kolumne: Über die Autorität der Autorin

in der welt des fiktionalen Romans obliegt der Autorin eine enorme Autorität. Sie schafft eine komplette Welt für ihre Leser*innen, erschreibt neue Freunde und Familie. Wie eine Göttin sitzt sie an ihrem Schreibtisch und entscheidet über das Schicksal der Charaktere, wer gut ist, wer böse, wer leidet und wer sich freut. Wann das Ende kommt. Und wie. Ich als Leserin muss mich vertrauensvoll in ihre Hände geben, dass der Werdegang des Buches so verläuft wie er … muss? (mehr …)

[LiSe 05/23] Kolumne: Leiden für die Kultur – ganz profan

Wer die Kultur liebt, liebt das Leiden. Jenes lautlose Vor-sich-hin-Leiden auf dem zugewiesenen Stuhl, das spätestens nach einer Stunde einsetzt. Meist schon früher.

Die Lesung des Nachwuchsautors in unserem Lieblingsbuchladen, die Premiere der durchreisenden Theatertruppe in der Stadthalle, das Programm der örtlichen Literaturtage. So vieles, das einen interessierte. So vieles, für das man sich gern Zeit nähme. Und dann fällt einem ein, kurz bevor man die Mail mit der Anmeldung abschickt, wie man bei der letzten Lesung gelitten hat. (mehr …)

[LiSe 04/23] Kolumne: Wohin die Wörter gehen

Irgendwann macht man mit. Ein schlimmer Satz. Einer mit historischen Ausmaßen. Also, noch einmal von vorne: Irgendwann mache ich mit. Aufatmen. Schultern lockern. Neuer Kontext (weg vom unangenehmen Thema der ideologischen Verführbarkeit, hin zu Freizeit-Banalitäten wie: Irgendwann bin ich auch mit von der Partie). Cool bleiben. Geht ja nur (?) um Sprachgewohnheiten und da mache ich, vergeht nur etwas Zeit, einfach mit, und ich glaube tatsächlich, dass das fast allen so geht. Sorry. Irgendwann macht man mit. Würde sich sonst sprachlich schnell ein bisschen wie hinterm Mond aufführen, bisschen ins Abseits schießen also, und haben Sie das bemerkt? Haben Sie das „tatsächlich“ bemerkt? „Und ich glaube tatsächlich …“. War nur ein paar Zeilen drüber … Wenn Sie nochmal hoch gehen, finden Sie es. (mehr …)

[LiSe 03/23] Kolumne: Ein Mensch, ein Bild …

Das ist schon ein äußerst attraktiver Kunstgriff, wenn Autor*innen Kunstwerke, Gemälde … ins Zentrum ihrer Bücher rücken. Das hat etwas Retardierendes, fast Elegantes. Und es liegt ja nahe, Bilder, Skulpturen, Wandreliefs auch literarisch wirken zu lassen, sie als sehr spezielle, etwas sperrige, oft schwergewichtige, hochkantige oder querhängende Helden wie Heldinnen mittig in den Text zu platzieren. Denn, stehen wir den Kunstwerken dann einmal in einem von allem gelösten Moment Auge in Augen gegenüber …, was tun die dann anderes, als zu sprechen und zu wirken. (mehr …)

[LiSe 02/23] Kolumne: 99 … 66

Das könnte den vitalen Redefluss natürlich etwas stören. Weil meistens sind sie ja so richtig in Fahrt, wenn sie irgendwo in ihrem engagierten kleinen oder größeren, privaten oder öffentlichen Vortrag diese „air quotes“ einbauen, diese aktiv agierenden Fingerhasenohren. Da werden also flugs Zeige- und Mittelfinger beider Hände nach oben ausgestreckt (den Daumen nach innen anlegen, sonst wird’s zum Schwur), um sie dann ein wenig neckisch, gleichzeitig und vor allem ziemlich schnell zweimal bis zum zweiten oberen Fingerglied abzuknicken. (mehr …)

[LiSe 01/23] Kolumne: Wie viel, bitte?

Es kommt nicht oft vor, dass es die Literatur in die Abendnachrichten des Fernsehens schafft. Der spektakuläre Ankauf des Rilke-Nachlasses durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach war wieder einmal einer dieser seltenen Gelegenheiten. Wie zu erfahren war, habe ein Konsortium aus Bund, Land und privaten Geldgebern einen erklecklichen Betrag zusammengetragen, um den Kauf des Nachlasses finanzieren zu können. Über die Kaufsumme (ein zweistelliger Millionenbetrag, wie gemunkelt wird) habe man Stillschweigen vereinbart. Warum eigentlich Stillschweigen? Um nicht bekanntgeben zu müssen, wie viel der Promi-Anwalt abgegriffen hat? Oder – wie die Archivdirektorin Sandra Richter nuschelte – um den Preis für zukünftige Ankäufe nicht von vorneherein in die Höhe zu treiben? (mehr …)