Ein Mineraloge auf Abwegen
Franz von Kobell und seine bayerische Heimat
Von Michael Berwanger
Wer den Biergarten des ehemaligen Hofbräukellers in Haidhausen auf der Rückseite durch den kleinen Durchlass verlässt, kommt in den Maximiliansanlagen zu einer Anhöhe, die die Münchner die „Kobell-Wiese“ nennen. Auf der Kuppe, direkt vor der früheren Villa des Malers Eduard Grützner, steht ein Denkmal, das an den Mineralogen, Schriftsteller, Konservator und Musiker Franz von Kobell erinnert. Es ist eines jener Denkmäler, die durch Prunk und Größe auf eine Zeit verweisen, als Bayern noch an den ewigen Fortbestand der Wittelsbacher Monarchie glaubte – ein Gründerzeitdenkmal. Auf einem klassizistischen Natursteinpostament, flankiert von stilisierten Pinienzapfen, thront die von Ferdinand von Miller gegossene Bronzebüste des Volksdichters, entworfen vom damals äußerst umtriebigen Künstler Benedikt König, der sich gern Professor von König nennen ließ, und errichtet im Auftrag des Prinzregenten im Jahr 1896.
Überhaupt spielte der bayerische Adel eine wichtige Rolle im Leben des dichtenden Wissenschaftlers. 1803 kam er als Franz Kobell, Sohn eines leitenden Beamten und späteren Hofrats in München zur Welt, wohin er immer wieder zurückkehrte. Er studierte an der Universität Landshut Chemie, wurde bereits 1823 Adjunkt bei der mineralogischen Staatssammlung in München und promovierte 1824 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Als er mit 25 Jahren in die Bayerische Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, durfte er sich Franz Ritter von Kobell nennen, da sein Vater von Ludwig I. 1825 in den erblichen Adelsstand erhoben worden war. Während sich seine wissenschaftliche Karriere glänzend entwickelte – er war 1834 zum ordentlichen Professor an die Universität München berufen worden – fand er einige Zeit später auch als Mundartdichter großen Anklang, sowohl bei der Bevölkerung als auch am Hof. Als „Neuadeliger“ verkehrte er nur zu gern in der Hofgesellschaft und beteiligte sich häufig an deren Hofjagden. Er galt als zünftiger, geselliger Urbayer, der nicht nur Gedichte in oberbayerischer und pfälzer Mundart schrieb – sein Vater stammte aus Mannheim, seine Mutter war Münchnerin –, sondern auch „Schnadahüpf’l“ verfasste. Dabei schreckte er nicht davor zurück, solche Stegreif-Spottverse bei Hofe zu kolportieren. Er hatte ohnehin bei Maximilian II. von Bayern einen guten Stand.
Als dieser 1848 nach der Abdankung seines Vaters, Ludwig I., mit 36 Jahren König werden musste, machte er sich auf den Weg zu einer Rundreise durch das Land, um „seine Bayern“ kennen zu lernen. Mit dabei war der nur acht Jahre ältere Franz von Kobell. Unter anderem führte er den frischgebackenen Monarchen zu Fuß auf den Wendelstein, von Bayrischzell aus, verschweigend, dass es von Brannenburg einen leichteren, weniger steilen Weg gibt. Der ängstliche Monarch war nicht begeistert, als er – oben angekommen – davon erfuhr, ließ es aber seinem geliebten Professor ohne weiteres durchgehen. Denn der König war ein Förderer von Wissenschaft und Kunst und für die technischen Neuerungen seiner Zeit aufgeschlossen. Die Berufung berühmter Professoren an die Münchner Universität sollte den Ruf Bayerns als Wissenschaftsstandort festigen, denn die Wittelsbacher hatten seit Jahrhunderten einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den mächtigeren Habsburgern im Osten und den Hohenzollern im Norden. Doch die Berufung der so genannten Nordlichter stieß bei der Bevölkerung auf Widerstand. Umso wichtiger waren dabei einheimische Wissenschaftler wie der Graf Pocci oder Franz von Kobell.
Kobells literarische Tätigkeit bekam erst mit späteren Jahren so richtig Schwung. Neben Erzählungen und Darstellungen über das Jagen („Der Wildanger, Skizzen aus dem Gebiete der Jagd und ihrer Geschichte“ (1859)) waren es hauptsächlich die Gedichte, die seine damalige Berühmtheit als Literat mehrten („Ernste, hochdeutsche Gedichte“ (1852), „Gedichte in oberbaierischer und pfälzer Mundart“ (1862)). Die heute bekanntesten Stücke Kobells sind jedoch die Erzählungen „Türken-Hansl (Turco), a G’schichtl aus’n Krieg vo’ 1870“ und – vor allem – die „G’schicht’ von’ Brandner-Kasper“, beide erschienen 1871 in den „Fliegenden Blättern“. Die Mundarterzählung, worin ein bayerischer Schlosser und Jagdgehilfe am Tegernsee dem Tod beim Kartenspiel und mittels „Kerschgeist“ ein Schnippchen schlägt, wurde bisher dreimal (1949, 1975 und 2008) verfilmt und steht in der Theaterfassung von Kurt Wilhelm immer noch auf dem Spielplan des Volkstheaters München. Im Original hat die Erzählung lediglich einen Umfang von drei Textseiten. Kobells letzte Dichtergabe waren seine „Erinnerungen in Liedern und Gedichten“ (1882), eine bunte Sammlung aus älterer und neuerer Zeit.
Am 18. Juli 2014, fast genau am 211. Geburtstag Kobells, versammelte sich auf der „Kobell-Wiese“ eine kleine Gruppe elitärer Damen und Herren, die sich anschickten, die Enthüllung des restaurierten Kobell-Denkmals entsprechend zu feiern – darunter die drei Stifter: die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, die Familien des ehemaligen Weihenstephaner Braumeisters Erich Wimmer und des in Fischbachau lebenden Industriellen Heiner Schäfer. Für die Sanierung des Denkmals und die Herstellung von zwei gravierten Bronzetafeln hatten die drei Stifter immerhin 15.000 Euro aufgebracht.
P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Dekmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner, Heinrich Heine, J. W. Goethe, Lion Feuchtwanger, Frank Wedekind, Clemens Bentano, Annette Kolb und Franziska von Reventlow