Von Marie Türcke
Im Sommer begann in München eine neue literarische Veranstaltungsreihe: „IMMER WEITER Schreiben und Veröffentlichen – Lesung, Dialog und PingPong“, eine Idee des Autors und Kabarettisten Thomas Steierer. Ziel der Reihe ist es, die Sichtbarkeit von Autor*innen während des Schreibprozesses zu erhöhen. Auf einer Bühne treffen sich Menschen aus dem Literaturbetrieb, wie Lektor*innen und Literaturkritiker*innen sowie Autor*innen mit Thomas Steierer, der selbst gerade an seinem Roman „Immer Weiter“ (Arbeitstitel) arbeitet. Und natürlich gibt es ein Publikum, das in Fragen und anschließenden Diskussionen eng eingebunden wird. Die Autor*innen lesen aus ihren vollendeten oder unvollendeten Texten, dann erfolgt der Austausch. Die Themen gehen von Schreibblockaden sowie dem Entstehen und Planen der Erzählstränge, über erwartbare Einnahmen, bis hin zu den Schreibprozessen der Autor*innen.
Die Autorin dieses Features hat das erste der Events besucht, und seitdem lässt sie eine Frage nicht mehr los: Für wen schreibt man eigentlich?
Die Antwort kann ja nicht nur lauten „für sich selbst“ – das tut man zwar auch, in Tagebüchern, Notizen, vielleicht sogar in Gedichten oder Geschichten, um eigene Eindrücke zu verarbeiten –, sondern eigentlich, könnte man vermuten, für ein Publikum.
Steierers neue Eventreihe belegt bestens, dass ein Publikum für einen Text mehr sein kann, als stille Leserschaft daheim, sogar mehr sein kann als stille Leserschaft auf einer Lesung. Ein Publikum kann auch Resonanzraum sein für das unfertige Werk. Na klar, denken sich viele, Feedback braucht man ja immer, um einen guten Text zu produzieren, je mehr, desto besser. Aber die Autorin des Beitrags fragt sich: Kann ein Publikum, das den Schreibprozess begleitet, nicht auch eine Art Endprodukt sein? Es gibt ein Publikum für das fertige Werk, also kann es doch auch ein Publikum für das unfertige geben. Ein Publikum, das das unfertige Werk durch Wahrnehmung, Widerhall und Anerkennung in gewisser Weise zu einem Selbstzweck erhebt. Schreiben und währenddessen teilen ist dann in sich zielführend, nicht mehr nur Mittel zum Zweck. Trotzdem kann man noch vollenden und veröffentlichen wollen. Das Schreiben selbst wird, durch das Hinzuziehen eines Publikums, eine nicht mehr nur zielgerichtete, sondern in sich ausreichende Tätigkeit. Durch die Reihe „IMMER WEITER Schreiben und Veröffentlichen“ bekommt Publizieren noch eine weitere Bedeutung: Veröffentlichung findet nicht mehr nur im Druckerzeugnis des fertigen Textes statt, sondern bereits auf dem Weg dorthin. Veröffentlichung muss nicht nur bedeuten, ein fertiges Werk zu präsentieren. Veröffentlichung kann stetig geschehen, immer da, wo man auf ein wie auch immer geartetes Publikum trifft, das bereit ist, zuzuhören. Und das Schöne dabei ist, dass es in München an willigen Menschen für ein solches Publikum nicht mangelt.
Beispielsweise fand dieses Jahr auf dem Münchner Literaturfest zum dritten Mal das Format „Münchner Schiene“ statt. Ein Ort, an dem Schreibinitiativen zusammenkommen und sich vorstellen, an dem Dialog zwischen Schreibenden und solchen, die überlegen Schreibende zu werden, entsteht, oder wo sich einfach nur Neugierige treffen.
Um hier nur ein paar Initiativen exemplarisch zu erwähnen: vertreten waren die „Romanwerkstatt“, das „Texttreffen“, die „Münchner Romanwerkstatt“ sowie das „Netzwerk Münchner Theatertexter*innen“ und englische Gruppen wie „Shut up & write!“. Ebenso das „Münchner Literaturbüro“, das die „LiteraturSeiten München“ herausgibt, war zu Gast, bei dem sich jeden Freitag in den Räumen in der Milchstraße Schreibende austauschen. Bei Thomas Steierer wiederum kamen auch Leute, die gar nicht selbst schreiben, die Geschichten konsumieren und eher selten produzieren, und die gekommen sind, um Texten zu lauschen und Fragen zu stellen, damit sie dann neue Ideen und Eindrücke mit nach Hause nehmen.
Was soll das jetzt alles bedeuten?
Schreiben für ein Publikum bedeutet meist ein Werk zu vollenden und einem Publikum zugänglich zu machen. Aber wenn man bereits während des Schreibens ein Publikum eingebunden hat, kann und darf sich der Fokus auch verschieben. Dann darf das Schreiben unvollendet geteilt und veröffentlicht werden. So sinkt vielleicht die Hemmschwelle einfach nur anzufangen, gemäß dem Motto: Hauptsache Schreiben!