Von Petra Ina Lang

„Wollt ihr sie jetzt sehen oder bleibt ihr da?“, fragte Flying Carpet und schaute weit über den Fluss Richtung Stadt, die in einem merkwürdigen Dunst lag.
Alpha schüttelte den Kopf.
„Also, ich möchte da nicht rein.“
Hella murrte: „Was willst du denn noch hier? Ist doch keiner mehr da.“
„Stimmt“, sagten Flying Carpet und Janeiro wie aus einem Mund.
„Ich weiß nicht, ich habe so ein Gefühl“, sagte Alpha.
„Wir müssen jetzt rein!“, sagte Flying Carpet und klatschte in die Hände.
Ein großes Tor öffnete sich. Hohe Büsche an beiden Seiten. Die vier tasteten sich voran.
„Wow“, sagte Janeiro.
Vogelgezwitscher kam aus unsichtbaren Lautsprechern.
Flying Carpet drückte die Eins auf seinem Tablet. Schlagartig war es still.
Janeiro lief zu einem Vogel. Der war zutraulich und setzte sich auf seine Hand.
„Schaut mal!“
Der Spatz gähnte und streckte seine Zunge hervor.
„Süß“, sagte Alpha.
Eine Amsel schaute sie an, flog auf eine Buche und sang mit geschlossenem Schnabel.
„Das mit dem Schnabel weiß ich“, sagte Flying Carpet, „da bin ich noch dran.“
In der Ferne grollte ein Donner.
Flying Carpet nahm Hella an der Hand, Hella die Hand Janeiros und der fasste Alphas Hand.
„Da lang“, flüsterte Flying Carpet. „Da müssen wir durch.“
„Es ist schwül“, sagte Alpha.
„Es muss so sein“, sagte Flying Carpet, „sagen wir mal, nicht ganz so heiß, aber ich bin ja noch dran.“
Janeiro schaute Alpha an, die blickte zurück.
„Naja, ihr müsst nicht alles verstehen“, sagte Flying Carpet.
„Wir müssen weiter, ihr werdet euch wundern!“
Sie liefen über einen Salzsee, dann durch Tundragebiete und schließlich in einen Nebelwald.
„Orchideen!“, rief Alpha. „Kautschuk!“
„Ein Tapir“, rief Hella, „und da, ein Ameisenbär!“
Kolibris umkreisten sie. Brüllaffen sangen aus vollen Kehlsäcken. Das hörte gar nicht mehr auf.
„Brasilien habt ihr aber nicht hier?“, fragte Janeiro.
„Nein, du kannst nicht alles haben.“
Flying Carpet machte ein Zeichen, weiter zu gehen.
Sie überquerten einen großen See über eine Talbrücke und kamen an ein Waldstück, das aus vielen, dicht stehenden Eschen, Erlen, Buchen und ein paar Kiefern bestand. Der Boden war schwarz, dann wurde er rot und schließlich weiß und fein wie Sand.
„Ihr müsst leise sein, sie sind sehr scheu.“
Ganz hinten wurde es hell. Licht brach durch die Wolken und fiel auf einen Platz.
Da saßen sie, nebeneinander und schauten in den Himmel.
„Sind die echt?“
Von der Stelle aus, wo sich die vier gerade befanden, sah man nur die Rücken zweier hockender Gestalten.
Janeiro, Hella, Alpha und Flying Carpet krochen vorsichtig um die beiden herum. Die starrten immer noch in die Wolken und sangen in einer fremden Sprache. Sie waren in etwa so alt wie sie.
„Sie sind echt?“
„Was heißt echt?“
„Menschen wie wir?“
„Naja“, sagte Flying Carpet. „Es sind die ersten der Art.“
„Und wie heißen sie?“
„Die heißen ‚Die Sänger’, weil sie immer singen. Sie habe ich Beth genannt und ihn Gamma.“
Plötzlich hörten sie ein Pfeifen.
Die beiden Menschenwesen waren aufgestanden.
„Psssst“, machte Beth, und Alpha und Hella gingen einen Schritt auf sie zu. Auch Gamma lockte jetzt mit Pfeiftönen. Er berührte Alphas Stirn und streichelte über Hellas Haar.
Beth beschaute Janeiros Gesicht, Nase, Ohren, Lippen und strich mehrmals darüber.
„Seht ihr das?“, rief Flying Carpet. Er strahlte. „Wie gut sie mir gelungen sind!“
Und die beiden Wesen begannen zu singen: „Wir sind keine Roboter. Wir sind die Sänger. Hört ihr, hört!“
Janeiro, Hella, Alpha und Flying Carpet hörten.
„Und nun ihr! Singt! Singt!“
„Na, dann fange ich mal an“, rief Flying Carpet, und dann reihten sich die anderen ein. Beth kam mit einer sonoren Rap-Einlage dazu. Gamma stellte sich auf eine Empore und fletschte die spitzen Zähne. Die Facettenaugen starrten die Singenden an. Neben Gamma erschien ein sechsarmiger Dämon mit drei dudelsackartigen Gebilden, und hinter ihm ließ sich ein riesenhafter Oktopus mit Stöcken nieder.
„Can you hear me, Munich?“, rief er, und unheilschwangere Geräusche erklangen.
Aber keiner hörte sie.