Künstlergenossenschaft und Inspirationsquelle Das Streitfeld
Einer der wahrscheinlich jüngsten Literaturorte Münchens ist das „Streitfeld“. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Künstlergenossenschaft, die in Berg am Laim, genauer gesagt in der Streitfeldstr. 33 angesiedelt ist. 2007 als „KunstWohnWerke“ gegründet, bezogen die ersten Künstler vor vier Jahren die beiden Gebäude der ehemaligen Textilfabrik Kuszner und bauten deren Räume zu Ateliers für bildende Künstler, zu Werkstätten für Kunsthandwerker, zu Tonstudios für Musiker und eben zu Schreibbüros für Schriftsteller um. Eines der beiden literarischen Arbeitszimmer ist an die Dramatikerin und Kinderbuchautorin Leo Hoffmann vergeben, das andere hatte bis vor kurzem die Drehbuchautorin Johanna Stuttmann inne. Jetzt arbeitet dort der Kabarettist Ludwig Müller. Damit ist das „Streitfeld“ der Geburtsort verschiedenster literarischer Texte: Leo Hoffmann verfasste hier die Theaterstücke „Chefsache“ und „Am Rand“, Johanna Stuttmann das Drehbuch zu dem Fernsehfilm „Im Spinnwebhaus“, den die ARD vergangenen August ausstrahlte.
Damit ist längst nicht alles über das „Streitfeld“ als Literaturort gesagt. Im Gegenteil: Die Literatur im „Streitfeld“ ist vielfältig und entzieht sich, wie alles, was wirklich lebendig ist, der Kategorisierung. Das liegt nicht zuletzt im Konzept der Genossenschaft begründet, das ein gemeinsames Leben und Arbeiten der unterschiedlichsten Künstler und Kunstgattungen vorsieht. In diesem Zusammenhang haben die Veranstaltungsräume eine besondere Bedeutung: Im „projektraum“ des Rückgebäudes und im Foyer des Vordergebäudes finden allerhand literarische Ereignisse statt, denen vor allem eins gemeinsam ist: Es handelt sich um performative Experimente, in denen Literatur mit anderen Kunstarten kombiniert wird. Die Grenzen der einzelnen Gattungen werden aufgehoben, die Genres verzahnt, aufgesprengt, neu kombiniert. Zu nennen sind hier die Veranstaltungen der Gruppe „Grauklang“ sowie die Reihen „Literatur im Kopf“ und „Denotationen. Musik und Wort“. „Literatur im Kopf“ begleitet, kommentiert und erweitert die im „Streitfeld“ gezeigten Ausstellungen. Die von Anja Bayer und Olaf Probst kuratierte „Denotationen“-Reihe hingegen widmet sich dem Zusammenklang von Literatur und Musik.
Und noch ein weiterer Ort darf nicht unerwähnt bleiben. Im Keller des Vordergebäudes befindet sich ein Schwimmbad, das einst der privaten Nutzung des Fabrikinhabers vorbehalten war, heute nicht mehr funktionstüchtig ist, aber eine dramatische Kulisse abgibt. Im Juni 2014 inszenierte der Schauspieler und Regisseur André Settembrini hier das Stück „Gruppenselbsthilfe“, das eigens für das Schwimmbad entwickelt wurde. Ebenfalls auf diesen Raum zugeschnitten war die 2015 privat aufgeführte Produktion „Face Me“ von Caitlin van der Maas mit Kammerspiel-Schauspielerin Sandra Hüller.
Das „Streitfeld“ ist also ein Inspirationsort, an dem nicht nur Texte entstehen, sondern für den Texte geschrieben werden: Das gilt für Produktionen der Gruppe „Grauklang“ wie für das Kabarettprogramm von Ludwig Müller, entstanden für das diesjährige „streitfeld offen“ im Oktober. Last but not least ist das „Streitfeld“ bereits selbst zur literarischen Figur geworden: In Leo Hoffmanns 2013 verfassten Monolog „Die Fabrik“ kommt das Gebäude höchstpersönlich zur Wort und schildert seine Sicht auf die mühevollen Instandsetzungsarbeiten. Mühen, die sich gelohnt haben, wenn man auf das literarische Leben im „Streitfeld“ blickt, das eigentlich immer noch nicht vollständig beschrieben ist. Denn erwähnt werden sollte unbedingt noch „trivero“, der Hörbuchverlag, den Tobias Koch im „Streitfeld“ betreibt, und vielleicht noch, dass an diesem Ort Künstlerbücher entstehen. Und Bücher genäht werden, und, und, und …
Antonie Magen
P.S. In unserer Serie „Münchens literarische Orte“ sind bisher erschienen: Substanz, Autorengalerie, La Cantina und das Vereinsheim.