Ein literarischer Streifzug durch Essgewohnheiten an Weihnachten

Was gibt es bei Ihnen an Heiligabend zu essen? Fondue mit Filetspitzen und sieben exotischen Saucen, Fünfgängemenü – von Forellenmousse über Gänsebraten bis Creme Bavaroise – oder traditionell Würstel mit Kartoffelsalat? Kein Tag im Jahr ist so mit Bedeutung überladen wie der 24. Dezember. Und damit auch seine Festtafel. Sie gibt dem Tag den äußeren Rahmen für alle Erwartungen und Enttäuschungen und spiegelt die Schicksale der Festgäste.

Von Michael Berwanger, Stefanie Bürgers, Sevda Cakir, Markus Czeslik, Katrin Diehl, Slávka Rude-Porubská und Ursula Sautmann

Es ist ja nicht so, dass alle Weihnachten feiern. Wer jüdisch ist, feiert um die Weihnachtszeit herum Chanukka und geht an Heiligabend gerne mal chinesisch essen. In Isaak Bashevis Singers Geschichte „Zlateh die Geiß“ rettet die liebe, alte Zlateh den Jungen Aaron, der sie (damit zu Chanukka ein bisschen was auf den Tisch kommt) zum Schlachter im nächsten Dorf führen soll. Von einem unglaublichen, nicht enden wollenden Schneesturm überrascht, kriechen die beiden in einen Heuhaufen. Irgendwann legt sich Aaron „so neben Zlateh, dass er sich die Milch in den Mund melken konnte. Die Milch war fett und schmeckte süß“. Zlateh wird nie in einem Topf landen. Nicht zu Chanukka und noch weniger zu Weihnachten.

Theodor Fontanes Liebe zur Adelsgesellschaft wurde von ihr nicht erwidert. Und so revanchiert er sich in seinen Romanen, indem er den Landadel zärtlich seinem Spott aussetzt. „Der Stechlin“ handelt vom Niedergang des märkischen Adelsgeschlechts von Stechlin am real existierenden Großen Stechlinsee Ende des 19. Jahrhunderts. Der Hausherr Dubslav muss auch an Weihnachten sparen, daher gibt es wieder Karpfensuppe und Karpfen in Butter. Und natürlich muss er die Knausrigkeit kaschieren: „… der alte Karpfen schmeckt mir immer am besten, wenn er aus unserm eigenen See kommt. Ich sage immer: der Stechlin ist kein großer See, aber er hat gute Fische.“

Selma liebt ihr altes Haus im Westerwald. Dort war der Boden stellenweise so dünn, dass sie bereits mehrfach durch ihn durchgebrochen. Ihre Enkelin erzählt: „Einmal war sie in der Küche eingebrochen, gemeinsam mit der fertig gebratenen Weihnachtsgans, Selma hatte von der Hüfte abwärts im Keller gehangen und es trotzdem geschafft, die Weihnachtsgans gerade zu halten.“ Die Weihnachtsgans (und sich) gerade zu halten – ein immer gewichtiges Ziel im Kosmos des Dorfes im Westerwald, den Mariana Leky in „Was man von hier aus sehen kann“ so liebevoll beschreibt.

Das Weihnachtsessen bei Nick Hornby fällt in die Kategorie „sehr speziell“. „About a boy“ ist die Story einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem 36-jährigen Will, einem reichen, oberflächlichen Single, und dem 12-jährigen Außenseiter Marcus, der Will zu sich nach Hause einlädt. Serviert wird ein großes Donut-förmiges Gebäck aus Blätterteig mit einer Sahne-Pilz-Sauce in der Mitte, danach gibt es traditionellen Weihnachtspudding, in dem Fünf-Pence-Münzen versteckt sind – bevor sich alle Knallbonbons ziehen und Marcus’ Vater sich seelenruhig einen Joint dreht.

Auf der Nordseeinsel Baarhoog in Amanda Beckers Roman „Weihnachtszauber im Schneegestöber“ ist es bis zum Jahresende nicht zu Versöhnungen in der Community gekommen. Die Hauptprotagonist*innen sind mürrisch und hoffnungslos. Nur wenige geben nicht auf und vereinen unter geschickten Vorwänden alle unter einem Dach. Bis auf den Topf mit Würstchen zu Sekt erfährt die Leserschaft keine weiteren Details über das Menü. Nur das Dessert – bestehend aus Sauerkirschen, Mascarpone, Sahne und Amarettini – scheint alle Weihnacht-zu-verzaubern und führt zum Ziel.

In Jan Procházkas „Weihnachtskarpfen“ könnte es sein, dass zu Weihnachten, was das Essen angeht, improvisiert werden muss (und auch das gibt es ja, Menschen, die zu Weihnachten vor einem leeren Teller sitzen). Denn „David, der Knirps“ hat den Weihnachtskarpfen, der sich noch eine Weile in der Prager Wohnung in einer Badewanne lebendig gehalten hatte, in einer wunderbaren Aktion gerettet: „Der Mann und der Junge stellen den Eimer aufs vereiste Ufer und ruhen sich aus. (…) Der Mann hebt den Eimer und kippt ihn um. Wie ein Blitz flutscht der Karpfen in den Fluss.“ Und das war es dann mit dem Weihnachtsmenu. Sorry. Dafür öffnet sich in diesem Moment der Schneehimmel und Sonnenstrahlen huschen heraus.

Dass es für die Ärmsten ein Weihnachtswunder gäbe, ist meist nur kitschige Vorstellung. Was das bedeutet, schildert Frank McCourt in seinem Roman „Die Asche meiner Mutter“ im Südirland der 1930er Jahre. Gleich zweimal wird darin von den verzweifelten Versuchen erzählt, ein würdiges Festmahl zu haben. Einmal bekommt die Mutter von der Metzgerin in Limerick einen Saukopf; ein anders mal ist es ein Gutschein vom Wohltätigkeitsverein. „Es gibt Schafskopf, Kohl, mehlig weiße Kartoffeln und eine Flasche Apfelwein, weil Weihnachten ist. […] Dad sagt, dass er keinen Hunger hat, aber wenn sie sonst keiner will, isst er die Schafsaugen“.

Bei strengem Dauerfrost, großem Mangel an Heizmaterial und rigoroser Lebensmittelrationierung kommt im kriegsverwüsteten Deutschland im Hungerwinter von 1946/47 zu Weihnachten nicht viel auf den Teller. Lediglich „Grünkohl und ein Viertel Mettwurst“ für jeden gibt es in Tom Sallers Roman „Und Hedi springt“, der im Bergischen Land spielt.

In Jonathan Franzens „Die Korrekturen“ wünscht sich Enid nichts sehnlicher, als ihre weit verstreut wohnenden und miteinander unversöhnten Kinder zu Weihnachten zusammenzubringen und einen Hauch von Harmonie zu verbreiten. Tochter Denise, als Spitzenköchin aus New York angereist, tischt traditionell einen Truthahn auf. Doch nicht nur dessen Duft, auch die gärenden Familienkonflikte füllen den Raum. Das Essen markiert den Höhepunkt des Zerfalls einer dysfunktionalen Familie. So hatte Enid sich das Fest ganz und gar nicht vorgestellt.

Mit 28.000 km/h in 90 Minuten um die Erde und dabei 16 Sonnenauf- und -untergänge. Solch einen Weihnachtsabend auf der ISS, wie ihn Barbara Reye im Schweizer Rundfunk am 25.12.2024 schildert, ist kaum vorstellbar, und so gibt es dort auch zwei Feiern. Einmal für die  Amerikaner am 1. Weihnachtstag und das zweite Mal für die  christlich-orthodoxen Russen Anfang Januar. „… das Einzige, was mit Russland in Kooperation noch funktioniere“, so Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Zur Feier gibt es Truthahn in vakuumierten Beuteln und gefriergetrocknetes Gemüse. Als Überraschung: Kekse. Krümeln streng verboten. Es besteht Gefahr, diese einzuatmen.

Wenn im Dezember Dreharbeiten in der Toskana anstehen, feiert der dänische Stummfilmstar Asta Nielsen mit Töchterchen Jesta das Weihnachtsfest eben im italienischen Massa. In Nielsens Erzählband „Im Paradies“ sorgen neben dem obligatorischen Truthahn vor allem die hausgemachten Süßigkeiten der Berliner Köchin Emma für die heimelige Weihnachtsstimmung. Ebenso die im Koffer mitgebrachte Lübecker Marzipantorte, die auf der Festtafel zwischen den im Hotelgarten gepflückten „Orangen und den herrlichen Trauben und großen Nüssen des Südens“ steht.

Der Weihnachtsmann hat Stress und das seit mindestens 1952! Sein Kopf raucht, das Telefon glüht, die Geschenkeproduktion erfordert alle Konzentration. Größte Baustelle wie immer: die Weihnachtsbäckerei. Ist genug Mehl für Honigkuchen da? Werden die Hexenhäuschen fertig? Emmerich Heinemann und Erich Huber erzählen in „Die Himmelswerkstatt. Ein Bilderbuch“, wie am Ende alle kleinen und großen Kinder rechtzeitig mit den Vorbereitungen für das Festmahl beginnen können. Weihnachten ist wieder mal gerettet!