Es ist kalt, artig stehen wir in der Schlange. Die Banken sollen nicht genug davon bekommen haben, heißt es, wir wollen nicht doof dastehen nächste Woche wenn es losgeht, die Münzen umdrehen müssen, das wollen wir nicht. Sie kommen uns entgegen, Leute mit kleinen Plastiktütchen, dem sogenannten Starter-Kit. Gleich werden wir sie in Händen halten, die neuen Münzen, den Euro.
Es gab eine Zeit – man muß etwas weiter zurückdenken – Wien hatte damals das größte Straßenbahnnetz der Welt, die Straßenbahnen hatten hölzerne Trittbretter und messingfarbene Griff-stangen und man konnte während der Fahrt auf- und abspringen, was aber streng verboten war. Die Schaffner trugen Schirm-Mützen und über der Schulter lederne Taschen an breiten ledernen Riemen. Mit einer Zange knipsten sie Löcher in die Fahrscheine, die aus billigem, dünnem, buntem Papier bestanden. Es war ein kompliziertes System. Ich habe es nie durchschaut. Die Fahrt kostete drei Schilling. Wir waren über vierzehn. Wir mußten voll bezahlen. Drei Schilling waren eine Menge Geld. Dann wurde von der Nationalbank eine neue Münze eingeführt und die Straßenbahn wurde vorübergehend sehr viel billiger. Vorübergehend, bis die Schaffner wußten, worauf sie zu achten hatten.
Die Fünf-Schilling-Münze, die aus Silber bestand, hatte im Lauf der Zeit durch die Inflation jenen Punkt erreicht, an dem ihr Materialwert die Fünf-Schilling-Marke zu überschreiten begann. Die Leute wollten den Fünfer nicht mehr ausgeben. Er war zu einer Geldanlage geworden. Und so wurde – wir kennen das aus anderen Ländern – ein neuer Fünfer eingeführt, kleiner, billiger, kein Silber mehr, nur noch Nickel. Er würde für viele Jahrzehnte, ja, wie sich herausstellte, bis zur endgültigen Abschaffung des Alpendollars, der Inflation paroli bieten. Der neue Fünfer war so klein geraten, daß er sich darin dem einzelnen Schilling, dem sogenannten Schlei, gefährlich annäherte. Der Unterschied war so gering, daß er mit bloßem Auge kaum noch wahrzunehmen war. Wer den Unterschied sehen wollte, der mußte die Münzen aufeinanderlegen. Und schließlich ließ man bei dem neuen Fünfer auch noch die Riffelung am Rand der Münze weg, wahrscheinlich ebenfalls eine Sparmaßnahme. Das alles ist Geschichte. Rückblickend wissen wir, daß der Betrug, dem durch diese Unvorsichtigkeit Vorschub geleistet wurde, weder den österreichischen Staat, noch die Wiener Stadtwerke/Verkehrsbetriebe in den Ruin getrieben haben.
Der Einser und der neue Fünfer unterschieden sich nur noch in der Farbe, hie Kupfer, da Nickel, es sei denn, man hätte die Zahl auf der Münze gelesen, aber Schaffner haben keine Zeit um die Zahlen auf den Münzen zu lesen. Sie haben wichtigeres zu tun. Sie müssen, an einer der messingfarbenen Griffstangen aus dem Wagen hängend, diesen abfertigen, indem sie gleichzeitig – Bimm! – an einem ledernen Riemen ziehen. Aber das ist Straßenbahngeschichte. Dies hier soll eine Falschmünzer-Geschichte sein.
Alsbald erschien eine Tinktur auf dem Markt, (die chemische Bezeichnung ist der Redaktion bekannt,) mit der man den einzelnen Schilling aufwerten konnte. Es war eine ziemliche Sabberei, hochgiftig, versteht sich, man mußte die Münze mit einer Krokoklemme in diese Soße hineinhängen, eine Nacht war genug, dann sorgfältig trocknen, man konnte das fertige Produkt aber auch gegen einen geringen Aufpreis auf dem Schulhof kaufen. Man gab dem Schaffner einen Schilling, bekam dafür eine Fahrkarte aus billigem, dünnem, buntem Papier, die er mit seiner Zange sorgfältig gezwickt hatte, sowie zwei Schilling Retourgeld. Ich war jedes Mal verblüfft. Sobald der Schilling, der in etwa so glänzte wie der neue, verkleinerte, verbilligte Fünfer aus Nickel, sobald dieser aufgewertete Schilling in der ledernen Tasche des Schaffners verschwunden war, war es ausgestanden. Man konnte aufatmen. Mit einem falschen Fünfer hätte sich unsereins – vierzehn Jahre, die wir waren – nicht gerne erwischen lassen.
Ich sitze an meinem Schreibtisch, die Münzen aus dem kleinen Tütchen sind vor mir ausgebreitet, sie sehen alle gleich aus. Ich drehe sie um, studiere die Zahlen. Ich überlege, wie sich damit ein Verbrechen begehen ließe, aber es fällt mir nichts ein.
Paul Holzreiter