Das literarische Dezemberrätsel bringt zehn lyrische Beispiele von meist populären Dichtern zum Thema Frieden oder Krieg in den vergangenen dreieinhalb Jahrhunderten, die ja nur selten längere Zeit vom Frieden geprägt waren, wobei wir bemüht sind, chronologisch vorzugehen und im Jahre 1636 beginnen. Abgedruckt wird nur jeweils die erste Strophe bzw. vier bis fünf Zeilen, wenn die Strophe länger ist. Wir wünschen Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, ein erfolgreiches und vergnügliches Autoren-Raten!
- Das Gedicht stammt von einem Zwanzigjährigen und steht voll unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges, den er nur 16 Jahre überleben durfte.
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret. /
Der frechen Völker Schar, die rasende
Posaun /
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun. /
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.
- Sein Zeitgenosse wurde wesentlich älter, war evangelischer Theologe und gilt als einer der führenden Kirchenlied-Dichter deutscher Sprache („O Haupt voll Blut und Wunden“). Eine lange Allee in München-Pasing ist nach ihm benannt.
Gott lob! Nun ist erschollen
Das edle Fried-und Freudenswort
Daß nunmehr ruhen sollen
Die Spieß und Schwerter und ihr Mord.
- Vielleicht das berühmteste Friedensgedicht, von einem Dichter und Journalisten beim Wandsbeker Boten 1778/79 verfasst, als es in deutschen Landen gerade mal relativ ruhig war. Noch berühmter ist lediglich sein „Abendlied“, die Sache mit dem aufgehenden Mond.
’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
O Gottes Engel wahre,
und rede du darein!
’s ist leider Krieg-
Und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
- Es ist ja nicht sicher, ob diese unvergessliche Ballade, ein echter Klassiker, ein wahrer Ohrwurm, überhaupt noch an irgendeiner bayerischen Schule gelesen wird, und deshalb wollen wir sie hier vorstellen, auch wenn sie recht blutrünstig beginnt und erst am Ende zur Versöhnung mahnt – es geht um den Herrscher über Syrakus und Sizilien, der
430 – 367 v. Ch. gelebt hat.
Zu Dionys dem Tyrannen schlich
Damon, den Dolch im Gewande.
Ihn schlugen die Häscher in Bande …
- Schon mit 24 Jahren verstorben, hat dieser Dichter der Romantik zahlreiche Märchen („Der kleine Muck“) und Gedichte geschrieben. Zum Frieden mahnend könnte auch dieses eine gedeutet werden, wenngleich Kameradschaft und Tod etwas sehr heroisch anklingen. Hier die 2.Strophe:
Kaum gedacht, kaum gedacht
Wird der Lust ein End gemacht!
Gestern noch auf hohen Rossen
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.
- Er konnte das Bürgertum zu Zeiten der Reichsgründung und in den Friedensjahren danach mit leichter, gut gereimter Kost amüsieren und stellte selbst in der Fabel seinen Monarchen nicht in Frage. Reich und berühmt wurde er allerdings- zu seinem Leidwesen- weder mit ernsten Texten, noch als Maler, sondern mit eher kindlich gereimten Bildergeschichten.
Ganz unverhofft auf einem Hügel
Sind sich begegnet Fuchs und Igel
Halt! Rief der Fuchs, du Bösewicht!
Kennst du des Königs Ordre nicht!
Ist nicht der Friede längst verkündigt
Und weißt du nicht, daß jeder sündigt,
der immer noch gerüstet geht…
- Militante Kriegsgedichte waren vor allem in den Jahren der napoleonischen Kriege und anno 1914 en vogue. Auch einer der ersten deutschen Nobelpreisträger (1912), Dramatiker mit sozialer Ader, konnte nicht an sich halten. Kaum zu glauben, aber das war ernst gemeint:
Leb wohl mein junges Weib
Und Säugling in der Wiegen
Denn ich darf mit trägem Leib
Nicht daheim bei euch verliegen.
Diesen Leib, den halt ich hin
Flintenkugeln und Granaten
Eh ich nicht durchlöchert bin
Kann der Feldzug nicht geraten …
- Dann aber kam der „kleine dicke Berliner, der mit der Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte“, wie sein Kollege (siehe Nummer 9) schrieb und dichtete um 1919, lange bevor er sich das Leben nahm:
Sie lagen vier Jahre im Schützengraben
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
Daheim eine Frau und zwei kleine Knaben
Weit, weit –!
- Humoristischer drückt sich sein etwas liberalerer Kollege, Autor von Romanen und Kinderbüchern, und erst nach 1945 richtig beliebt und in München gestrandet, in Anspielung auf Goethes „Mignon“ bereits 1928 aus:
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? /
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen! /
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
In den Bureaus, als wären es Kasernen …
- Sein ein Jahr älterer Kollege, zurückgekehrt aus dem Exil ins „andere Deutschland“, berühmter Lyriker und umstrittener Dramatiker, dichtete 1949, zu Beginn des „Kalten Krieges“:
Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten /
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen! /
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelangt hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!
Auswahl: Wolfram Hirche
Auflösung des kleinen literarischen Ratespiels:
- Andreas Gryphius (1616 – 1664)
„Tränen des Vaterlandes“ 1636 - Paul Gerhardt (1607 – 1676)
„Danklied für die Verkündigung des Friedens“ , 1648 - Mathias Claudius (1740 – 1815)
„Kriegslied“ 1778/79 - Friedrich von Schiller (1759 – 1805)
„Die Bürgschaft“ 1798 - Wilhelm Hauff (1802 – 1827)
„Reiters Morgenlied“ 1825 - Wilhelm Busch (1832 – 1908)
„Bewaffneter Friede“ 1904 - Gerhard Hauptmann (1862 – 1946)
„Komm wir wollen sterben gehen“ 1914 - Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
„Krieg dem Kriege“ 1919 - Emil Erich Kästner (1899 – 1974)
„Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“ 1928 - Bertolt Brecht (1898 – 1956)
„An meine Landsleute“ 1949