[LiSe 07/18] Kurzgeschichte: Sirenenbotanik

Von Isa Bellini

Ob sein Nachname ein Pseudonym sei – er hieß Friedhelm Triebhafer –  oder ob ihn dieser Name zum Studium der Botanik angeregt hätte, wurde er während seiner 30jährigen Dienstzeit im Botanischen Institut Unterwiesenfeld immer wieder gefragt, was er jedoch aufs heftigste zu verneinen wusste, da er es genau erinnerte, dass es seine Mutter gewesen war, die ihm zum Studium der Pflanzen geraten hatte. Sie wolle nicht, dass seine edlen Hände, den Medizinern gleich, „im Fleische wühlten“. So dankte er ihr den Beruf des Sachkundigen für Gräser an extremen Trockenstandorten, genauer gesagt, des Steppen- und Wüstenbotanikers, weswegen seine Kennt-nisse für seine voralpenländische Wirkungsstätte eher weniger von Belang waren. Umso mehr konnte er sich ganz und gar seinen Gräsern hingeben. Nichts störte seine hingebungsvolle Leidenschaft für diese zartgliedrigen, zerbrechlichen Wesen, bis eines gewöhnlichen Morgens Unerwartetes in sein Leben trat – eine Sekretärin – genauer gesagt, die seines Kollegen. (mehr …)

[LiSe 06/18] Preisverleihung / Kurzgeschichte

Gewinner

Der Haidhauser Werkstattpreis, dessen Vergabe heuer zum 25. Mal stattfand, hat einen eindeutigen Gewinner. Es ist Wolfram Hirche, dessen satirisch zugespitzte Kurzgeschichte „Osama Ostmond“ den anwesenden Zuhörern unter den Texten der elf Kombattanten, wie sich Moderator Rainer Kegel vom Münchner Literaturbüro ausdrückte, am besten gefiel. Leicht gekürzt ist sie hier abgedruckt. Hirche schreibt in den LiteraturSeiten München regelmäßig die Kolumne und nimmt darin den Literaturbetrieb hintersinnig und ironisch aufs Korn. Wir gratulieren ihm. red.

Kurzgeschichte: Osama Ostmond 

Von Wolfram Hirche

Osama gleitet pünktlich aus dem Untergrund die Rolltreppe hinauf zur Mariensäule ins Freie, in der Linken einen Metallkoffer, und raunt mir sofort ins Ohr, dass er geradewegs aus seinem Versteck in „München-Westkreuz“ komme und keineswegs aus den Höhlen von Tora Bora. Westkreuz, Hochhaus, neunter Stock, das kann man nicht erfinden, das macht ihn sofort authentisch. (mehr …)

[LiSe 04/18] Kurzgeschichte: wann es nacht wird – – –

Von Christoph Michels

dieses halbdunkel & niemand: leerraum – – & diese stunde in der nie irgendwas – – als es laut aus den boxen: „WOULDN’T IT BE GOOD TO BE ON YOUR SIDE“ & das lachen der barkeeper: irgendwo: in ihren schwarzen schürzen & dass alles irgendwie: weit – – – : das gewusel vor einem der türkenmärkte: VERDI: irgendwelche proleten: BMWs mit getönten scheiben – – ist es wie jedes bahnhofsviertel – – ist es: weit weg & langsam & nur dieses – – & „I GOT IT BAD – YOU DON’T KNOW HOW BAD I GOT IT“ : ist blau: zu rot – dann gelb: über das gewühl: über den asphalt: in die straße: in die späte sonne: in alles – – bis es zu ende – – & alles ist dann: laut: wieder verdichtet: ist es: autohupen: rollkoffer: eine frau in ihr handy brüllend, das in ihrem kopftuch steckt: eine zerspringende glasflasche: gedudel aus handylautsprechern – – reißt’s die augen in die fassade gegenüber: HOTEL PENSION ALPINA: schäbiges grün & offene fenster: vor grauen zimmern – andere: mit roten gardinen verhängt – eine eingezogene markise: vor sich hin gammelnd – ist es tot & auch die offenen fenster machen es nicht besser – – – im erdgeschoos: neonröhren – – wahrscheinlich die rezeption: die kahlen wände: irgendein hässliches bild: sonst nichts – – als einer ans fenster: – – : sich mit angezogenen beinen auf die fensterbank – seine hohe stirn: die grauen haare: wahrscheinlich der besitzer: zündet er sich eine kippe an: langsam: den rauch in die straße: über die vorbeigehenden: frauen mit kopftüchern: gemüsetüten schleppend – schreiende kinder – – asiatische touristen mit ihren kameras – ein junggesellenabschied: ihre dämlichen shirts: der eine im dirndl: gröhlend: bierdosen aneinanderhauend – – & der hotelbesitzer: immer noch: rauchend: ohne bewegung: überm gewusel – als ein kleiner junge: zu ihm auf die fensterbank: lachend mit einer plastikpistole: seifenblasen: in die sonne: in die fassade & wie sie langsam – – vorbei an einer taube: auf der markise – – vorbei an einem der offenen fenster: steht eine frau: ihre schwarzen haare: hochgesteckt: das durchsichtige shirt: ihr schwarzer bh: guckt sie in die straße: ohne die seifenblasen – ohne mich – – – als einer der barkeeper: „der negroni“ das glas auf den tisch – & „cheers“ – – & leises gedudel & die frau ist verschwunden & der raucher – & der junge: weg. (mehr …)

[LiSe 02/18] Kurzgeschichte: Shoppingcenter

Ein expressives Wahrnehmungsprotokoll

Von Peter B. Kramer

Graubunte Anlage mit sportfestvielen Fahnenstangen, klug von einem Netz aus Straßen umspult, harrst Du hinter farbenschwirrenden Wimpeln versteckt. Natreen-süßes Musiksekret sickert in mein Ohr, unterbrochen von trostlos freundlichen Ansagen.

Ich dringe ein und durchquere den nervös-schwelgerischen Shopping-Dschungel: Lange Karrenreihen, wie schuppige Tausendrollfüßler aus fremdartiger Drahtwelt. Grabhügelartigen Paletten werden Opfergaben entnommen und auf Kassentischen dem mächtigen Gott TRANQUILIZER entrichtet. (mehr …)

[LiSe 12/17] Kurzgeschichte: Der Terrorist

Von Elisabeth Weinkauf

An einem regnerischen Wochentag Ende April geht bei der Polizei in München ein Notruf ein:
„Ich werde von einem Islamisten bedroht und festgehalten.“ – „Wo sind Sie?“

„Ich bin gerade beim Joggen, irgendwo im Wald. Da stellt er sich mir in den Weg und hält mich am Ärmel fest. Und spricht arabisch auf mich ein. Und ruft ständig „Allah“. Er hat einen riesigen schwarzen Hund bei sich. Der ist an mir hochgesprungen und wollte mir ins Gesicht. – Da, hören, hören Sie es?“ (mehr …)

[LiSe 10/17] Kurzgeschichte: Vorsichtsmaßnahmen

Von Katharina Bendixen

I
Wenn mein Mann und ich in einem Hotel übernachten, was gelegentlich vorkommt, denn mein Mann ist Handelsvertreter, gehen wir mit unseren Koffern immer durchs Treppenhaus. Erst in der Nacht, wenn wir aus dem Restaurant zurückkehren, fahren wir mit dem Aufzug. Das machen wir so, damit wir Bescheid wissen für den Fall, dass ein Feuer ausbricht. Diese Vorsichtsmaßnahme war noch nie nötig, aber ich fühle mich so sicherer. Morgens nimmt mein Mann seine Termine wahr, und ich spaziere durch die Stadt und schaue, ob ich etwas Schönes für die Kinder finde. (mehr …)